Die Rüstungspolitik der Schweiz im Wandel Rüstungspolitische Strategie des Bundesrates
Die Rüstungspolitik der Schweiz im Wandel Rüstungspolitische Strategie des Bundesrates
vom 20. Juni 2025
1 Einleitung
Seit der Verabschiedung der Grundsätze des Bundesrates für die Rüstungspolitik des VBS ¹ im Jahr 2018 hat sich das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz markant und nachhaltig verschlechtert. Der Krieg in der Ukraine markiert eine Zäsur in der europäischen Sicherheitsordnung, die seit dem Ende des Kalten Krieges Bestand hatte. Bewaffnete, zwischenstaatliche Konflikte, sind wieder in den Fokus der Sicherheitspolitik gerückt. In der Kriegsführung bestätigt sich die Relevanz konventioneller Rüstungsgüter, zugleich zeigt sich aber auch die wachsende Bedeutung neuer Technologien - insbesondere in Kombination mit etablierten Kampfmitteln und Systemen.
Auf dem internationalen Rüstungsmarkt steht einer stark wachsenden Nachfrage derzeit ein begrenztes Angebot gegenüber, was zu längeren Lieferzeiten und steigenden Preisen führt. Dies gilt insbesondere für die Schweiz. Als Abnehmerin keiner Mengen, die nicht Teil eines Militärbündnisses ist, geniesst sie bei den Herstellerfirmen keine Priorität. Die Schweiz wird zudem von europäischen Staaten seit den abgelehnten Wiederausfuhren von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine nicht mehr als zuverlässige Partnerin wahrgenommen. Immer mehr Staaten schliessen die Schweiz und ihre Unternehmen daher bei Beschaffungsvorhaben und aus Lieferketten aus. Zudem wird deutlich, dass sich europäische Staaten vermehrt für Rüstungskooperationen zusammenschliessen. Da die Schweiz nicht Mitglied eines Militär- oder Wirtschaftsbündnisses ist und zudem restriktive Rahmenbedingungen für Kriegsmaterialexporte kennt, droht sie dabei aussenvor zu bleiben.
Damit die Schweizer Armee auch in der veränderten sicherheitspolitischen Lage ihren Kernauftrag, die Verteidigung von Land und Bevölkerung, erfüllen kann, muss ihre Verteidigungsfähigkeit in allen Fähigkeitsbereichen rasch wiederhergestellt und ihre Einsatz- und Durchhaltefähigkeit erhöht werden. Zudem gewinnt die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee an Bedeutung, denn in einem Ernstfall, in dem die Schweiz Ziel eines bewaffneten Angriffs würde, müsste sie sich möglichst autonom oder insbesondere in Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten verteidigen können. ² Um diesen Bedürfnissen der Armee vor dem Hintergrund der aktuellen Dynamik des Rüstungsmarktes und rüstungstechnologischer Entwicklungen Rechnung zu tragen, bedarf es einer Neuausrichtung der Rüstungspolitik der Schweiz und einer verstärkten strategischen Steuerung auf Stufe Bundesrat.
Mit seiner Rüstungspolitischen Strategie schafft der Bundesrat die Grundlagen, um die materielle Sicherstellung der Armee auch bei einem Ausbau der Fähigkeiten und in Krisen sowie im Falle eines bewaffneten Konflikts gewährleisten zu können. In Kapitel 2 werden die Herausforderungen für die Schweiz im sicherheits- und rüstungspolitischen Umfeld dargestellt, während Kapitel 3, basierend auf den Eckwerten der Armee bis 2035, den Fähigkeitsbedarf der Armee skizziert. Daraus werden in Kapitel 4 fünf übergeordnete rüstungspolitische Ziele des Bundesrates abgeleitet und die Zielkonflikte diskutiert, die sich daraus ergeben. Auf Basis dieser Ziele und Zielkonflikte werden schliesslich in Kapitel 5 zehn Handlungsfelder identifiziert und in Kapitel 6 das Vorgehen zur Umsetzung der Strategie erläutert. Im Anhang findet sich ein Aktionsplan mit ersten Massnahmen zur Umsetzung.
Die vorliegende Strategie steht in Beziehung zu einer Reihe weiterer Dokumente des Bundesrates, darunter der Sicherheitspolitische Bericht 2021 vom 24. November 2021 ³ , der Zusatzbericht vom 7. September 2022 ⁴ zum Sicherheitspolitischen Bericht 2021 über die Folgen des Krieges in der Ukraine , der Bericht Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik vom 26. Oktober 2022 ⁵ in Erfüllung des Postulates 22.3385 der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates, der Bericht Verteidigungsfähigkeit und Kooperation vom 31. Januar 2024 ⁶ in Erfüllung des Postulats 23.3000 SiK-S Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Schweiz ⁷ vom 12. Januar 2023 und des Postulats 23.3131 Dittli Nato-Kooperation im Verteidigungsbereich verstärken, ohne dem Bündnis beizutreten! ⁸ vom 14. März 2023, die Aussenpolitische Strategie 2024-2027 des Bundesrates ⁹ sowie die im Rahmen der Armeebotschaft 2024 verabschiedeten Eckwerte zur Ausrichtung der Armee bis 2035 1⁰ .
¹ BBl 2018 7253
² Siehe u. a. Sicherheitspolitischer Bericht 2021: «Falls die Schweiz Ziel eines bewaffneten Angriffs und die Neutralität hinfällig wird, soll sie damit beide Optionen haben: autonome Verteidigung oder Zusammenarbeit mit anderen Staaten, insbesondere den Nachbarstaaten» ( BBl 2021 2895 , S. 38).
³ BBl 2021 2895
⁴ BBl 2022 2357
⁵ Abrufbar unter:
www.parlament.ch
> 22.3385 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
⁶ Abrufbar unter:
www.parlament.ch
> 23.3000 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses; bzw.
www.parlament.ch
> 23.3131 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
⁷ Postulat
23.3000
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20233000
SiK-S vom 12. Januar 2023, Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Schweiz.
⁸ Postulat
23.3131
Dittli vom 14. März 2023, NATO-Kooperation im Verteidigungsbereich verstärken, ohne dem Bündnis beizutreten!
⁹ Abrufbar unter:
www.eda.admin.ch
> EDA > Publikationen > Aussenpolitische Strategie 2024-2027.
1⁰ BBl 2024 564
2 Das sicherheits- und rüstungspolitische Umfeld der Schweiz
Die Rüstungspolitik der Schweiz orientiert sich am sicherheits- und rüstungspolitischen Umfeld und den Trends, die daraus abgeleitet werden können. Zentrale Herausforderungen ergeben sich aus der verschlechterten Sicherheitslage in Europa und der daraus resultierenden hohen Nachfrage nach Rüstungsgütern, aus der zunehmenden Schwächung der sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis (STIB) der Schweiz durch eine rückläufige Nachfrage aufgrund von Exporteinschränkungen sowie aus den veränderten Anforderungen an die Beschaffung durch neue technologische Entwicklungen und die Digitalisierung der Kriegsführung.
Verschlechterte Sicherheitslage in Europa und ihre Auswirkungen auf den Rüstungsmarkt
Das Sicherheitsumfeld der Schweiz gestaltet sich komplex und volatil. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat zu einem fundamentalen Bruch der europäischen Sicherheitsordnung geführt. Die militärische Aggression Russlands gegenüber der Ukraine verdeutlicht exemplarisch, dass machtpolitische Interessen wieder zunehmend offensiv, unter Missachtung von internationalem Recht und mit militärischen Mitteln verfolgt werden. Durch die fortschreitende Verbreitung und insbesondere die vermehrte Nutzung von Waffensystemen wie ballistischen Lenkwaffen, Marschflugkörpern und Hyperschallwaffen hat sich zudem die Bedrohung durch Abstandswaffen, die in grosser Entfernung vom Ziel ausgelöst werden können, weiter erhöht. Die geografische Schutzwirkung hat deshalb abgenommen - auch für die Schweiz.
Die Zunahme der hybriden Konfliktführung in Europa zeigt, dass Akteure wie Russland in gegenwärtigen Konflikten auch auf eine Reihe nicht kinetischer Mittel wie Cyberangriffe, Desinformationskampagnen, Spionage, Sabotage und Druckausübung zurückgreifen. Diese Mittel werden unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts eingesetzt, um machtpolitische Ziele ohne eine militärische Konfrontation zu erreichen. Die Übergänge zwischen Krieg und Frieden verschwimmen zunehmend.
Die verschlechterte Sicherheitslage in Europa hat direkte Auswirkungen auf den internationalen Rüstungsmarkt. Der hohe Munitions- und Materialverbrauch in Russlands Krieg gegen die Ukraine hat in Verbindung mit niedrigen Lagerbeständen und weltweit steigenden Verteidigungsausgaben zu einem Nachfrageüberhang bei Rüstungsgütern geführt. Dies bedeutet, dass die Nachfrage nach Rüstungsgütern nicht mit den vorhandenen Produktionskapazitäten befriedigt werden kann. Der Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten dauert an. Betroffen sind sowohl Grosssysteme als auch militärische Verbrauchsgüter und neue Technologien mit militärischen Anwendungen. Vor dem Hintergrund zunehmender zwischenstaatlicher Spannungen ist davon auszugehen, dass der Nachfrageüberhang in Zukunft weiter zunehmen wird.
Das anhaltende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führt zu längeren Lieferzeiten und deutlich höheren Preisen. Hinzu kommt, dass die Hersteller von Rüstungsgütern in erster Linie die Streitkräfte des Landes beliefern, in dem sie hauptsächlich tätig sind und erst in zweiter Linie die Bündnispartner und Partner anderer Kooperationsformate. Als Staat, der keiner Verteidigungsallianz angehört und nur kleine Mengen beschafft, befindet sich die Schweiz in einer zunehmend schwierigen Verhandlungsposition gegenüber ausländischen Herstellern und ist bereits heute von längeren Lieferzeiten und erhöhten Preisen für Rüstungsgüter betroffen. Dazu kommt, dass europäische Staaten mit einer Intensivierung ihrer verteidigungs- und rüstungspolitischen Kooperation auf die zuvor skizzierten Entwicklungen reagiert haben. Einerseits schliessen sich Staaten in Europa mit den gleichen Werten wie die Schweiz vermehrt in bi- und multinationalen Formaten für Rüstungskooperationsprojekte, wie gemeinsame Rüstungsbeschaffungen 1¹ oder gemeinsame Projekte zur Entwicklung neuer Gesamtsysteme, ¹2 zusammen. Solche Formate können fallweise auch für die Schweiz attraktive Kooperationsmöglichkeiten bieten. Andererseits spiegeln die erstmalige Ernennung eines EU-Kommissars für Verteidigung und Raumfahrt, die Entwicklung einer dezidierten European Defence Industry Strategy (EDIS) und die Publikation des Weissbuchs zur europäischen Verteidigung - Bereitschaft 2030 das gestiegene Ambitionsniveau der EU im Verteidigungs- und Rüstungsbereich wider. Das European Defence Industrial Programme (EDIP) sowie der Plan ReARM Europe dienen dem Erreichen dieses Ambitionsniveaus. Im Rahmen dieser Rüstungsinitiativen beabsichtigt die EU, Anreize für ihre Mitgliedstaaten zu setzen, um mehr, gemeinsam und in europäische Fähigkeiten zu investieren. So sollen die Wettbewerbsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der europäischen Rüstungsindustrie gestärkt werden. Diese Investitionen in die Verteidigung sind strategisch und langfristig angelegt und zielen auf ein souveränes und autonomes Europa ab. Der Druck, diese Entwicklungen voranzutreiben, hat durch die sich abzeichnenden Veränderungen in den transatlantischen Beziehungen noch einmal deutlich zugenommen. Die Schweiz droht als Nicht-EU-Mitglied und ihren rigiden Rahmenbedingungen für Kriegsmaterialexporte bei den rüstungsindustriellen Kooperationsformaten aussen vorzubleiben und die graduelle Entwicklung in Richtung eines stärker integrierten Binnenmarktes im Rüstungsbereich zu verpassen.
Zunehmende Schwächung der STIB durch eine rückläufige Nachfrage aufgrund von Exporteinschränkungen
Grundsätzlich zeichnet sich die Schweizer Wirtschaft durch ihre globale Wettbewerbsfähigkeit und hohe Innovationskraft aus. Im weltweiten Vergleich zählen Schweizer Unternehmen zu denen mit den höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung. Ebenso verfügt die Schweiz über weltweit führende Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit ausgewiesenen Kompetenzen in Zukunftstechnologien (z.B. Drohnen und Robotik, künstliche Intelligenz [KI], Quantentechnologien). Ein grosser Teil der Technologieforschung und Entwicklung in der Schweiz ist bisher auf zivile Anwendungen ausgerichtet, wobei technologische Entwicklungen im zivilen Bereich auch wichtige Grundlagen für militärische Anwendungen darstellen können. Der Übergang zwischen der STIB und der restlichen Industrie ist daher fliessend.
Die STIB setzt sich aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammen, die über für die Armee und andere Institutionen staatlicher Sicherheit relevante Fähigkeiten, Kompetenzen und Kapazitäten im sicherheits- und wehrtechnischen Bereich verfügen. STIB-Unternehmen müssen in Schweizer Besitz oder zumindest mit einem Standort in der Schweiz ansässig sein, wenn sie sich in ausländischem Besitz befinden.
Innerhalb der STIB gibt es Unternehmen, die in besonderem Masse Beiträge für die Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Schweizer Armee erbringen. Dazu zählen industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten, einschliesslich Fähigkeiten und Kapazitäten für den Betrieb, die Instandhaltung und die Produktion einsatzrelevanter Systeme der Armee sowie für die Integration, Entwicklung und Produktion von Schlüsselkomponenten und gewissen Munitionstypen. Diese Unternehmen bilden die verteidigungskritische Industriebasis (VIB). Dieser Kern der STIB ist heute nur noch in einem sehr beschränkten Umfang in der Schweiz vorhanden. ¹3
Besondere Bedeutung als Bestandteil der VIB kommt sogenannten Systemintegratoren zu. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die über die Fähigkeit zur Herstellung von militärischen Gesamtsystemen verfügen. Systemintegratoren gibt es mit wenigen Ausnahmen nur noch unter den in der Schweiz ansässigen Niederlassungen ausländischer Unternehmen. Dabei handelt es sich häufig um ehemalige Schweizer Unternehmen, die von ausländischen Konzernen übernommen worden sind. Dies ermöglicht es der Schweiz, von Synergien mit den Auslandsstandorten der Unternehmen zu profitieren. Die verbleibenden Technologiekompetenzen und industriellen Fähigkeiten im Verteidigungsbereich in Schweizer Besitz bestehen vorwiegend im Know-how und den Fähigkeiten innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), die als Zulieferer teilweise technologisch hochwertige Subsysteme, Baugruppen oder Einzelkomponenten für militärische und zivile Gesamtsysteme produzieren.
Der Erhalt der VIB setzt einen signifikanten Grundumsatz und eine kontinuierliche Nachfrage voraus. Aufgrund des kleinen heimischen Marktes sind in der Schweiz ansässige Unternehmen, die Kriegsmaterial produzieren, zwingend auf Exporte angewiesen. In der Vergangenheit haben diese Unternehmen trotz ihres im internationalen Vergleich kleinen Gewichts im Ausland ein hohes Ansehen genossen.
Seit Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine hat sich diese Wahrnehmung verändert. Kriegsmaterialexporte privater Unternehmen wären gemäss Neutralitätsrecht grundsätzlich erlaubt. Wenn jedoch die Schweiz den Export (inkl. Wiederausfuhr) oder den Transit von solchen Gütern für eine der Konfliktparteien beschränkt, beispielsweise bei der Übernahme von Sanktionen, so muss sie diese Beschränkung aus neutralitätsrechtlichen Gründen auch auf die andere Kriegspartei anwenden (Gleichbehandlungsgebot).
Zusätzlich gilt das Kriegsmaterialgesetz vom 13. Dezember 1996 ¹4 (KMG). Dieses sieht vor, dass der Export von Kriegsmaterial nicht bewilligt wird, wenn das Bestimmungsland in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Der Export von Kriegsmaterial nach Russland und in die Ukraine ist entsprechend durch die Schweizer Gesetzgebung ausgeschlossen. Die Gesetzgebung geht in diesem Punkt weiter als die neutralitätsrechtliche Pflicht.
Dass die Schweiz zu Beginn des Kriegs in der Ukraine aufgrund dieser Rechtslage die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine abgelehnt hat, ist bei den europäischen Partnern der Schweiz auf Unverständnis gestossen. Mitunter deshalb nehmen diverse europäische Staaten und Unternehmen die Schweiz nicht mehr als zuverlässige Partnerin wahr. Sie befürchten insbesondere, dass die Schweiz sie nicht mehr mit Rüstungsgütern beliefern würde, falls die Staaten selbst in einen internationalen bewaffneten Konflikt involviert werden. Ein Grossteil der europäischen Staaten schätzt inzwischen die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios in den nächsten Jahren als beträchtlich ein. Schweizer Rüstungsunternehmen werden deshalb zunehmend aus den Lieferketten von Systemlieferanten und von Beschaffungsvorhaben europäischer Regierungen ausgeschlossen. Einige in der Schweiz ansässige Unternehmen, die Kriegsmaterial herstellen, haben deshalb bereits Teile ihre Produktion ins Ausland verlagert. Zudem wird die Ansiedlung neuer Rüstungsunternehmen oder Herstellern von Technologien, die sowohl für zivile als auch militärische Anwendungen haben (Dual-Use-Technologien) durch die aktuelle Exportkontrollpolitik gehemmt. Gelingt es nicht, das Vertrauen der europäischen Partner in die Verlässlichkeit der Schweiz als Rüstungslieferantin wiederherzustellen, besteht die Gefahr, dass die Schweiz ihre verbleibende VIB in absehbarer Zeit definitiv verliert und die gesamte STIB so nachhaltig geschwächt wird. Dadurch entsteht eine ungewünscht hohe Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland, wie sie beispielsweise bereits heute bei einigen Munitionstypen besteht.
Technologiewandel und Digitalisierung
Weitere Herausforderungen, insbesondere für künftige Beschaffungen, ergeben sich durch neue technologische Entwicklungen und die fortschreitende Digitalisierung der Kriegsführung. Die Geschwindigkeit technologischer Fortschritte nimmt heute in vielen Fällen exponentiell zu. Dadurch büssen die Einsatzsysteme der Schweizer Armee schneller als bisher an relativer Leistungsfähigkeit ein. Um das erforderliche Technologieniveau halten zu können, müssen entweder Upgrades bereits vorhandener Systeme oder Ersatzbeschaffungen durchgeführt werden.
Bedeutende Veränderungen in der Kriegsführung und neue Bedrohungsformen ergeben sich zudem durch die Entwicklung neuer, teils disruptiver Technologien ¹5 sowie ihrer Integration in etablierte Kampfmittel und Systeme. Dies zeigt sich am Beispiel kommerziell verfügbarer Drohnen, die entweder zur Aufklärung oder, in anderer Ausführung auch als Wirkmittel, beispielsweise in Form von loitering munition , Verwendung finden. Treiber dieser neuen technologischen Entwicklungen sind häufig zivile Unternehmen, die mehrheitlich nicht in der Schweiz ansässig sind. Auch die technischen Hochschulen, darunter die in der Schweiz ansässigen, wirken als Technologietreiber. Es ist daher eine zentrale Herausforderung, den Zugang zu Technologien aus dem zivilen Bereich sicherzustellen und diese für die Armee nutzbar zu machen.
Zusätzlich nimmt die Digitalisierung und Vernetzung von Systemen der Armee entlang des Sensor-Nachrichten-Führungs-Wirkungs-Verbunds (SNFW-Verbund) weiter zu. ¹6 Die effiziente Digitalisierung des SNFW-Verbunds bildet die Grundlage dafür, dass ein Wissens- und Entscheidungsvorsprung gegenüber gegnerischen Kräften erlangt werden kann. Mit diesen Entwicklungen geht auch ein exponentieller Anstieg der verfügbaren Datenmenge einher. Dies stellt neue Anforderungen sowohl an die Fähigkeiten zur Verwertung der verfügbaren Daten als auch an die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen die Daten künftig genutzt werden können. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung von Systemen erfordern eine modulare Integration von Software und Sensoren sowie Effektoren, die es erlaubt, den unterschiedlichen Technologiezyklen von Software und Hardware gerecht zu werden. Dabei muss ein hoher Schutz gegenüber Angriffen aus dem Cyber- und elektromagnetischen Raum gewährleistet werden. Durch den Bedarf an Modularisierung und klaren Schnittstellen zeichnet sich eine Erhöhung der Komplexität von Beschaffungsprozessen ab.
1¹ Ein Beispiel hierfür ist die European Sky Shield Initiative (ESSI).
¹2 Aktuelle Beispiele sind das Future Combat Air System (FCAS) Programm (Frankreich, Deutschland, Spanien, Belgien), das Global Combat Air Programme (GCAS) (Vereinigtes Königreich, Italien, Japan) oder das Main Ground Combat System (MGCS) Programm (Frankreich, Deutschland).
¹3 In der Schweiz gibt es nur noch vereinzelte Systemintegratoren bzw. Hersteller von militärischen Gesamtsystemen. Für die Beschaffung von Hauptsystemen der Armee und gewissen Subsystemen (z. B. Lenkwaffen für bodengestützte Luftabwehrsysteme) ist die Schweiz daher bereits heute fast vollständig vom Ausland abhängig. Eine hohe Abhängigkeit vom Ausland besteht zudem bei der Beschaffung von Munition bestimmter Kaliber.
¹4 SR 514.51
¹5 Disruptive Technologien verdrängen aufgrund ihres hohen Innovationsgrades etablierte Technologien.
¹6 Vgl.
Dachstrategie Digitale Transformation der Armee
von 2024. Online abrufbar unter:
www.vtg.admin.ch
> Über uns > Grundlagen > Bereit sein für die Zukunft > Digitale Transformation der Armee > Digitalisierungsstrategie DxDA.
3 Zielbild: Rüstungsbedarf der Armee bis 2035
Gemäss den Eckwerten zur Ausrichtung der Armee bis 2035 ¹7 soll das geforderte Fähigkeitsprofil der Armee bis 2035 in verschiedene Fähigkeitsbereiche gegliedert werden. Vorgesehen ist ein breites Fähigkeitsprofil, das ausgewogen auf die hybride Konfliktführung, auf Bedrohungen aus der Distanz und im Extremfall auf einen umfassenden militärischen Angriff ausgerichtet ist. Damit soll die Armee als Gesamtsystem auf die wichtigsten Bedrohungsszenarien für die Schweiz vorbereitet werden.
Aus dem in den Eckwerten zur Ausrichtung der Armee bis 2035 beschriebenen Fähigkeitsprofil lassen sich ein vorläufiges Zielbild für den Rüstungsbedarf der Armee bis 2035 und die notwendigen industriellen Fähigkeiten ableiten. Ein solches Zielbild ist notwendig, um den Rüstungsbedarf rechtzeitig abdecken und die benötigten Fähigkeiten und Mittel aufeinander abstimmen zu können. Der Zeithorizont des Zielbildes entspricht der Beschaffungsdauer von Systemen für die Schweizer Armee, die bei grösseren Rüstungsbeschaffungen durchschnittlich sieben bis zwölf Jahre beträgt.
Modern und verteidigungsfähig
Vergleicht man das heutige Fähigkeitsprofil der Armee mit dem in den Eckwerten zur Ausrichtung der Armee bis 2035 beschriebenen Profil, so bestehen heute in praktisch allen Bereichen Fähigkeitslücken, insbesondere bei der Führung und Vernetzung sowie beim Nachrichtenverbund und der Sensorik, aber auch bei den Fähigkeiten zur Wirkung am Boden, in der Luft und im Cyber- und elektromagnetischen Raum. Um die Verteidigungsfähigkeit zu stärken, müssen diese Fähigkeitslücken geschlossen und der technologische Rückstand gegenüber den westlichen Führungsnationen zumindest teilweise aufgeholt werden. Dabei kommt dem verstärkten Einsatz von Technologien wie KI, unbemannten Systemen und Quantentechnologie eine grosse Bedeutung zu. Auch die Wirkung in der Tiefe und im Informationsraum gewinnen an Bedeutung und die Informationsbeschaffung aus dem Weltraum wird für die Armee immer wichtiger, insbesondere in den Bereichen Telekommunikation, Erdbeobachtung, Geolokalisierung und Präzisionsnavigation. Schliesslich ist zu beachten, dass bis Ende der 2030er-Jahre zahlreiche Haupteinsatzsysteme der Armee das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen und ihre Fähigkeiten schrittweise ersetzt werden müssen.
Autonom in Nischenbereichen, resilient und kooperationsfähig
Bis 2035 soll die Versorgung der Armee in ausgewählten und zu definierenden Nischenbereichen weitestgehend autonom sein. Es handelt sich dabei um kleine Bereiche, die für die Durchhaltefähigkeit der Armee von strategischer Bedeutung sind und in denen die Schweiz das Potenzial hat, weitestgehend autonom zu sein. Dies soll dazu beitragen, dass die Armee auch bis zu einer Umstellung auf eine Kriegswirtschaft - die Umstellung der Wirtschaft auf die Erfordernisse der Kriegsführung, inklusive der wirtschaftlichen Steuerung und Priorisierung der Güter und Materialien, die für die Kriegsführung zentral sind - ihre Aufgaben erfüllen könnte. Hohe Bedeutung kommt zudem dem Ausbau der heutigen Logistik hin zur Kriegslogistik zu, dem Schutz der Logistikmittel, der Logistikketten, der Bevorratung von Munition, Material und Betriebsstoffen sowie der Sicherstellung einer belastbaren Energieversorgung.
Die weitestgehende Autonomie über ausgewählte Nischenbereiche hinaus ist für die Schweiz aber heute und auch in Zukunft nicht realistisch. Zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit muss die Schweiz deshalb auch in der Lage sein, effektive Rüstungskooperationen mit anderen Staaten einzugehen, um die Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit der Armee zu erhöhen. Dies schliesst beispielsweise gemeinsame Rüs-tungsbeschaffungen, die Teilnahme an multinationalen Nutzergruppen sowie die verstärkte internationale Zusammenarbeit in der Forschung und Entwicklung mit ein. ¹8 Um diese Kooperationspotenziale nutzen zu können, muss die Schweiz jedoch in der Lage sein, gegenüber ihren Kooperationspartnern verlässlich rüstungsrelevante Beiträge leisten zu können.
¹7 BBl 2024 564
¹8 BBl 2024 563 , S. 35
4 Rüstungspolitische Ziele
Ausgehend von den zuvor skizzierten sicherheits- und rüstungspolitischen Entwicklungen im Umfeld der Schweiz und dem Zielbild für den Rüstungsbedarf der Armee bis 2035 leitet der Bundesrat fünf übergeordnete rüstungspolitische Ziele ¹9 ab:
4.1 Ziel 1: Die Schweiz stärkt ihre industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten im Inland zu Gunsten der Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Armee
Der Bundesrat strebt an, dass die Armee künftig in allen Lagen einsatzfähig ist und auch über eine ausreichende Durchhaltefähigkeit bis zu einer Umstellung auf Kriegswirtschaft verfügt. Die industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten der Schweiz im Rüstungsbereich sind eine wichtige Grundlage für die Durchhaltefähigkeit der Armee. Zentral dafür sind industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten, wie beispielsweise die Produktion ausgewählter Systeme, von Schlüsselkomponenten und gewisser Munitionstypen. Das Ziel einer erhöhten Durchhaltefähigkeit erfordert darüber hinaus, dass sowohl die Materialkompetenzzentren (MKZ) als auch weitere Unternehmen der VIB über diejenigen industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten verfügen, die für den Betrieb und die Instandhaltung der einsatzrelevanten Systeme der Armee in allen Lagen erforderlich sind.
4.2 Ziel 2: Die Schweiz erhöht ihre Beurteilungs- und Entwicklungsfähigkeit für neue Technologien im Inland und macht sie für die Armee nutzbar
Angesichts des raschen technologischen Wandels und der Anforderungen des künftigen Fähigkeitsprofils der Armee sollten die Fähigkeiten der Schweiz im Bereich der Forschung, Entwicklung und Innovation noch besser für die Armee genutzt werden. Die Schweiz muss künftig über die notwendige Beurteilungsfähigkeit verfügen, um Bedrohungen, die durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien entstehen, antizipieren und sich möglichst effektiv vor ihnen schützen zu können. Zudem muss die Schweiz, auch mit Blick auf ihre digitale Souveränität, über die Fähigkeit verfügen, Technologien, die für die nationale Sicherheit der Schweiz und die Weiterentwicklung der Armee zentral sind, zumindest teilweise selbst entwickeln zu können. In der Schweiz vorhandene Technologiepotenziale und Produktionskapazitäten sollen für die Armee nutzbar gemacht werden. Die Technologiepotenziale der Schweiz und die entsprechenden Produktionskapazitäten können auch als Beiträge der Schweiz in internationale Kooperationen eingebracht werden.
4.3 Ziel 3: Die Schweiz trägt im Rüstungsbereich zur Sicherheit Europas bei und erhöht damit ihre eigene Sicherheit und Unabhängigkeit
Bisher bleibt die Schweiz bei der intensivierten rüstungspolitischen Kooperation und den sich abzeichnenden Integrationsprozessen im Rüstungsbereich in Europa weitestgehend aussen vor. Indem rüstungsrelevante Leistungen der Schweiz für ihre Nachbarländer und weitere europäische Staaten zugänglich gemacht werden, kann die Schweiz ihren eigenen Zugang zu sicherheitsrelevanten Systemen, Komponenten und industriellen Fähigkeiten von Kooperationspartnern erweitern. Es ist ein Geben und Nehmen - auch im Rüstungsbereich. Dazu gehört, dass Schweizer Unternehmen Eingang in internationale Kooperationen und die Lieferketten ausländischer Systemlieferanten finden. Zusätzlich können alternative Beschaffungsmodelle, wie beispielsweise Government-to-Government-Geschäfte (G2G-Geschäfte), Rüstungskooperationen der Schweiz mit europäischen Staaten fördern.
4.4 Ziel 4: Die Schweiz erhöht die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee mittels Rüstungsbeschaffungen
Die Verteidigungspolitik der Schweiz zielt darauf ab, sich so weit wie möglich selbstständig schützen und verteidigen zu können, gleichzeitig aber auch in der Lage zu sein, sich bei Bedarf im Verbund mit anderen Staaten verteidigen zu können. Im Vordergrund stehen dabei die Nachbarstaaten. 2⁰ Damit die Schweiz im Fall eines bewaffneten Angriffs in der Lage ist, sich gemeinsam mit ihren Nachbarn und weiteren europäischen Staaten zu verteidigen, muss die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee sichergestellt sein. Aus Rüstungssicht bedeutet dies, dass die Schweiz in Zukunft vermehrt Systeme und Ausrüstungen beschaffen wird, die mit den Systemen und Ausrüstungen dieser Staaten möglichst identisch («interchangeable») oder zumindest kompatibel (interoperabel) sind. Dies erhöht die sicherheitspolitischen Handlungsoptionen der Schweiz.
2⁰ Siehe u. a. Sicherheitspolitischer Bericht 2021: «Falls die Schweiz Ziel eines bewaffneten Angriffs und die Neutralität hinfällig wird, soll sie damit beide Optionen haben: autonome Verteidigung oder Zusammenarbeit mit anderen Staaten, insbesondere den Nachbarstaaten» ( BBl 2021 2895 , S. 38).
4.5 Ziel 5: Die Schweiz beschafft ihre Rüstungsgüter schneller, flexibler, kosteneffizienter und stärker den Technologiezyklen folgend
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Nachfrageüberhangs auf dem internationalen Rüstungsmarkt und des raschen technologischen Wandels muss der Typenentscheid künftig schneller als heute erfolgen, damit die Systeme rechtzeitig zur Verfügung stehen. Für bestimmte Beschaffungen, z.B. im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), sind daher alternative Beschaffungsmodelle zu prüfen, mit denen die Beschaffungszyklen verkürzt werden können. Zudem sollen die Beschaffungsprozesse in Zukunft noch kosteneffizienter gestaltet werden, indem beispielsweise bei der Beschaffung neuer Systeme auf Anforderungen verzichtet wird, die spezifisch für die Schweiz sind.
4.6 Zielkonflikte
Zwischen den oben genannten fünf Zielen der Rüstungspolitischen Strategie können Zielkonflikte bestehen. Ebenso können Zielkonflikte zwischen den Zielen der Strategie und anderen Zielen des Staatshandelns der Schweiz bestehen. Auch die neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz sind zu berücksichtigen. Ein transparenter und systematischer Umgang mit diesen Zielkonflikten ist eine zentrale Voraussetzung, um geeignete Handlungsfelder und konkrete Massnahmen zur Umsetzung der Strategie identifizieren zu können.
Stärkung der STIB im Inland / Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit bei Beschaffungen
Das Armeebudget gibt den finanziellen Rahmen für die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Armee vor. Die beschränkten finanziellen Ressourcen erfordern einen möglichst effizienten Einsatz der verfügbaren Mittel für Investitionen in die von der Armee benötigten Fähigkeiten zur Stärkung ihrer Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit. Beschaffungen von Systemen, Gütern, Bauten und Dienstleistungen für die Armee sollten daher im Einklang mit den Vorgaben des öffentlichen Beschaffungswesens grundsätzlich nach dem Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsprinzip getätigt werden.
Die Beschaffenheit des Rüstungsmarktes weicht jedoch deutlich von zivilen Märkten ab und weist strukturelle Besonderheiten auf. In den meisten Marktsegmenten ist der Rüstungsmarkt heute durch wenige grosse Systemlieferanten und -integratoren gekennzeichnet, die mit einem Netzwerk von spezialisierten Zulieferern zusammenarbeiten. Die Nachfrage wird fast ausschliesslich durch staatliche Akteure bestimmt, welche in ihren Beschaffungen nicht nur Preis- und Qualitätskriterien berücksichtigen. Zudem erschweren hohe Markteintrittsbarrieren durch komplexe Technologien, hohe Entwicklungskosten, lange Produktlebenszyklen und starke regulatorische Einschränkungen von Exporten den Zugang neuer Akteure. Diese Umstände führen zu einem eingeschränkten Wettbewerb und erschweren eine effiziente Preisbildung.
Aufgrund der Besonderheiten des Rüstungsmarkts können bei Beschaffungen von Rüstungsgütern Abweichungen vom Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsprinzip gerechtfertigt sein, um die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz zu wahren (vgl. Art. 10 Abs 4 Bst. a und Art. 21 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 2019 2¹ über das öffentliche Beschaffungswesen [BöB]). Dabei stehen die Beschaffung sicherheitsrelevanter Güter und Dienstleistungen und der Erhalt von sicherheitsrelevanten Technologien, Fähigkeiten und Kapazitäten in der Schweiz im Vordergrund.
Ein möglicher finanzieller Mehraufwand bei Beschaffungen muss jedoch immer gegenüber dem sicherheitspolitischen Mehrwert abgewogen werden. Im Inland gilt es deshalb, sich auf den Erhalt, den Ausbau und den Aufbau ausgewählter Technologien, industrieller Fähigkeiten und Kapazitäten zu konzentrieren, die für die Weiterentwicklungs-, Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Armee sowie die Anbahnung internationaler Rüstungskooperationen besonders kritisch sind (vgl. Handlungsfeld 1).
Stärkung der STIB im Inland / Neutralitätsrechtliche Verpflichtungen der Schweiz
Eine besondere Herausforderung liegt in der Vereinbarkeit der angestrebten Stärkung der STIB mit den neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz. Aufgrund ihrer bewaffneten Neutralität und der damit verbundenen Notwendigkeit, sich möglichst selbstständig schützen und verteidigen zu können, ist die Schweiz eigentlich in einem besonderen Masse auf eine starke STIB angewiesen. Gleichzeitig läuft die Schweiz gerade aufgrund ihrer neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen Gefahr, die noch verbleibende VIB in absehbarer Zeit zu verlieren und die gesamte STIB nachhaltig zu schwächen.
Wie in der Analyse des sicherheits- und rüstungspolitischen Umfelds der Schweiz dargelegt, ist die STIB und insbesondere die VIB aufgrund des ohnehin stark begrenzten heimischen Marktes zwingend auf Exportmöglichkeiten angewiesen. Der oben beschriebene Vertrauensverlust europäischer Staaten in die Zuverlässigkeit der Schweiz als Lieferantin von Rüstungsgütern aufgrund von Exporteinschränkungen hat die Nachfrage nach Rüstungsgütern aus der Schweiz deutlich reduziert. Mehr und mehr europäische Staaten sind nicht mehr bereit, sich für ihre eigene und kollektive Verteidigungsfähigkeit in eine teilweise Abhängigkeit von der Schweiz und ihrer Industrie zu begeben.
Europäische Staaten, die bislang die wichtigsten Abnehmer von Schweizer Rüstungsgütern waren, messen Fragen der Versorgungssicherheit für den Fall, dass ihre Verbündeten oder sie selbst von ihrem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch machen müssen, eine immer grössere Bedeutung bei. Neben der eigenen Versorgung mit Rüstungsgütern und insbesondere mit Ersatzteilen ist es für europäische Staaten entscheidend, dass sie im Ausland beschaffte Rüstungsgüter an Partnerstaaten weitergeben können oder generell an Staaten, die gemäss der Charta der Vereinten Nationen von ihrem Selbstverteidigungsrecht 2² Gebrauch machen. Artikel 22 a Absatz 2 Buchstabe a KMG schliesst jedoch explizit die Lieferung von Kriegsmaterial an Staaten, welche sich in einem internationalen bewaffneten Konflikt befinden, aus. ²3 Das neutralitätsrechtliche Gleichbehandlungsgebot nach Artikel 9 des Abkommens vom 18. Oktober 1907 ²4 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs erlaubt zudem keine einseitigen Wiederausfuhren von Kriegsmaterial an Staaten, die in einen international bewaffneten Konflikt involviert sind.
Europäische Staaten begründen daher den Ausschluss von in der Schweiz ansässigen Unternehmen bei Rüstungsbeschaffungen damit, dass sie ausgerechnet im Falle des grössten Bedarfs - wenn sie in einen internationalen bewaffneten Konflikt involviert sind - keine Lieferungen mehr aus der Schweiz erhalten würden und bereits beschaffte Schweizer Rüstungsgüter auch nicht an Partnerstaaten weitergeben können.
Was Direktlieferungen betrifft, ist es der Schweiz jedoch nicht möglich, Abnehmern von Schweizer Kriegsmaterial zu garantieren, dass sie weiterhin beliefert würden, falls sie selbst in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt werden - auch dann nicht, wenn sie sich selbst verteidigen. Der Bundesrat müsste jeweils im Einzelfall entscheiden, welche Kriegsmaterialexporte mit dem Neutralitätsrecht zu vereinbaren sind und welche nicht.
Wenn das Vertrauen der Abnehmerstaaten von Schweizer Rüstungsgütern in die Lieferfähigkeit der Schweiz nicht wiederhergestellt werden kann und europäische Staaten keine Rüstungsgüter mehr aus der Schweiz beschaffen, wird es kaum möglich sein, die VIB in der Schweiz zu erhalten (vgl. Handlungsfeld 9). Somit würde die Abhängigkeit der Schweiz von Rüstungsimporten aus dem Ausland weiter zunehmen. Dies wiegt umso schwerer, da - wie in der Analyse des sicherheits- und rüstungspolitischen Umfelds dargelegt - die Schweiz bereits heute bei ausländischen Rüstungsherstellern keine Priorität geniesst und sich daher mit gestiegenen Lieferzeiten konfrontiert sieht. Im derzeitigen sicherheitspolitischen Umfeld ist nicht davon auszugehen, dass die Schweiz bei der Vergabe von Produktionsslots durch ausländische Hersteller wieder an Priorität gewinnen wird. In der Konsequenz erschwert und verzögert dies die Schliessung der Fähigkeitslücken der Armee zusätzlich. Gleichzeitig wäre die VIB nicht mehr in der Lage, in dem notwendigen Masse für die Schweizer Armee kritische Leistungen zu erbringen, falls sich die Schweiz selbst gegen einen bewaffneten Angriff verteidigen müsste. Ebenso würde das Potenzial der STIB verloren gehen, die internationale Rüstungskooperation der Schweiz zu stärken. Die Vereinbarkeit der erforderlichen Stärkung der STIB im Inland mit den neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz stellt somit eine signifikante Herausforderung für die Sicherheit und die Unabhängigkeit der Schweiz dar.
Stärkung der STIB im Inland / Ausbau der internationalen Rüstungskooperation
Ein scheinbarer Zielkonflikt ergibt sich schliesslich aus der angestrebten Stärkung der STIB im Inland und der gleichzeitig vorgesehenen Intensivierung der internationalen Rüstungskooperation der Schweiz. Beide Ziele sind jedoch eng miteinander verknüpft und komplementär.
Die Stärkung der STIB ist aus verschiedenen Gründen angezeigt: Zum einen muss die STIB gestärkt werden, damit die Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Schweizer Armee erhöht und damit sie auf neue technologische Entwicklungen reagieren kann. Zum anderen soll die STIB gestärkt werden, um die Attraktivität der Schweiz als internationale Kooperationspartnerin zu erhöhen. Aufgrund des anhaltenden globalen Nachfrageüberhangs und der zunehmenden Rüstungskooperationen im europäischen Umfeld ist der Zugang zu Systemen, Rüstungsgütern und Dienstleistungen aus dem Ausland, auf welche die Schweiz angewiesen ist, bereits heute erschwert. Nur wenn die Schweiz selbst rüstungsrelevante Güter und Dienstleistungen anbieten kann, die von anderen Staaten nachgefragt werden, werden diese Staaten auch künftig bereit sein, mit der Schweiz im Rüstungsbereich zu kooperieren (vgl. Handlungsfeld 7). Die Stärkung der STIB steht daher nicht mit einem Ausbau der internationalen Rüstungskooperation im Konflikt, sondern ist eine Voraussetzung für diese.
2¹ SR 172.056.1
2² Das Recht auf Selbstverteidigung ist in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen ( SR 0.120 ; VN) verankert. Es gewährt jedem VN-Mitgliedstaat das Recht auf Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff.
²3 Art. 22 a Abs. 2 Bst. a KMG.
²4 SR 0.515.21
¹9 Die Reihenfolge stellt keine Priorisierung dar. Bei der Verfolgung seiner Ziele beachtet der Bundesrat den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit (Art. 94 der Bundesverfassung; SR 101 ) und berücksichtigt die Risiken und Kosten von Staatseingriffen.
5 Handlungsfelder
Aus den oben dargelegten fünf Zielen und den Zielkonflikten ergeben sich zehn Handlungsfelder. Im Vordergrund stehen dabei Handlungsfelder zur Stärkung der STIB und zur Verbesserung ihrer Rahmenbedingungen sowie Handlungsfelder zur Intensivierung der internationalen Rüstungskooperation der Schweiz. Zunächst werden die Handlungsfelder skizziert, die auf das Inland fokussieren (Handlungsfelder 1-5), gefolgt von den Handlungsfeldern, die sich auf die Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten und ausländischen Unternehmen beziehen (Handlungsfelder 6-10). Die Reihenfolge der Handlungsfelder stellt keine Priorisierung dar.
5.1 Identifikation und Priorisierung von sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten
Eine leistungsfähige technologische und industrielle Basis ist ein zentrales Element der Rüstungspolitik und somit auch der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Schweiz. Die STIB muss in der Lage sein, für die nationale Sicherheit kritische Technologien und industrielle Kernfähigkeiten mit den erforderlichen Kapazitäten in der Schweiz sicherzustellen. Die Ziele, die Verteidigungs- und insbesondere auch die Durchhaltefähigkeit der Armee deutlich zu erhöhen und in definierten Bereichen die Abhängigkeiten der Schweiz vom Ausland zu reduzieren, verstärken die Bedeutung der STIB und insbesondere der VIB als deren Kern. Gleichzeitig können Ressourcen der STIB auch als rüstungsrelevante Beiträge in internationale Kooperationen eingebracht werden (vgl. Handlungsfeld 6, 7 und 8).
Bei sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien handelt es sich um ausgewählte Technologien, die für die Weiterentwicklungs- und die Durchhaltefähigkeit der Schweizer Armee von besonderer Relevanz sind. Bei sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien kann es sich sowohl um aufkommende als auch um bereits etablierte Technologien handeln. Die STIB soll die Beurteilungs- und Entwicklungsfähigkeit in diesen Technologiebereichen sicherstellen. Dies bedeutet, dass sie in der Lage sein muss, frühzeitig Potenziale und Risiken sicherheitsrelevanter Schlüsseltechnologien zu identifizieren und die Technologien zumindest teilweise selbst entwickeln zu können.
Industrielle Kernfähigkeiten bezeichnen für den Rüstungsbereich wesentliche technologische Fähigkeiten und Kompetenzen im Hinblick auf die Einsatzsysteme der Armee. Sie können sich beispielsweise in der Fähigkeit zur Entwicklung und Integration von Schlüsselkomponenten oder zur Umwandlung von Technologiepotenzialen in Produktionsfähigkeiten manifestieren.
Industrielle Kapazitäten beschreiben die konkreten Produktionsressourcen, die zur Umsetzung der Kernfähigkeiten in Verteidigungsgüter erforderlich sind. Sie umfassen die physische Infrastruktur wie spezialisierte Fertigungsanlagen, Prüfeinrichtungen und Produktionslinien sowie die Kapazität zur Herstellung von Rüstungsgütern in ausreichenden Mengen. Dies schliesst auch die zunehmend relevante Fähigkeit, die Produktion in Krisen oder im Fall eines bewaffneten Konflikts rasch erhöhen zu können (Aufwuchs- und Durchhaltefähigkeit), ein.
In Hinblick auf das Ziel einer deutlich erhöhten Durchhaltefähigkeit der Armee und das Fähigkeitsprofil der Armee bis 2035, sind die industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten neu zu definieren und zu priorisieren. Dies erfolgt basierend auf der Einsatzrelevanz der Systeme der Armee sowie der geforderten Durchhaltefähigkeit. Auch die sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien sind neu zu definieren und zu priorisieren. Dies erfolgt auf der Basis des Fähigkeitsbedarfs der Armee. Ebenso sind Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Staaten in die Priorisierung der sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und der industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten einzubeziehen.
Es ist regelmässig zu überprüfen, ob die neu definierten und priorisierten sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten in der Schweiz in ausreichendem Mass für die Versorgung der Armee vorhanden sind. Um die entsprechenden Informationen zu gewinnen, ist der Aufbau eines systematischen STIB-Monitorings notwendig. Dieses ist die Voraussetzung dafür, dass bestehende Fähigkeitslücken möglichst rasch und effizient geschlossen werden können. Zudem ist ein STIB-Monitoring notwendig, um beurteilen zu können, über welche Technologiekompetenzen sowie industrielle Fähigkeiten und Kapazitäten die Schweiz verfügt und in internationale Kooperationen einbringen kann.
Damit die Armee in Krisen oder im Fall eines bewaffneten Konflikts auf die von ihr benötigten sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten zugreifen kann, müssen diese in der Schweiz auch in Friedenszeiten erhalten und gestärkt werden. Dafür stehen der Schweiz eine Reihe von marktverträglichen Instrumenten zur Verfügung, wie Inlandbeschaffungen (Handlungsfeld 2), der Austausch mit der Industrie (Handlungsfeld 3), Forschungs- und Entwicklungsprojekte und Innovationsförderung (Handlungsfeld 5), die internationale Rüstungskooperation (Handlungsfelder 6 und 7), Kompensationsgeschäfte (Handlungsfeld 8) und die Exportkontrollpolitik (Handlungsfeld 9). Der Einsatz dieser Instrumente muss auf die Ziele einer erhöhten Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit der Armee ausgerichtet werden.
Die Rolle der RUAG MRO Holding AG
Die RUAG MRO Holding AG (nachfolgend RUAG) nimmt als Teil der VIB eine wichtige Rolle hinsichtlich der Stärkung der Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit der Armee ein. Zur Gewährleistung der Durchhaltefähigkeit prioritärer Systeme sind seitens der Schweizer Industrie Unternehmen erforderlich, die Dienstleistungen im Bereich MKZ zugunsten der Armee erbringen. Die bundeseigene RUAG ist als wichtiger MRO-Industriepartner ²5 der Schweizer Armee grundsätzlich als das MKZ der Armee designiert, sofern es sich um sicherheitsrelevante Systeme handelt, ein in der Schweiz registrierter Erstausrüster nicht mehrheitlich in Schweizer Besitz ist und die Schweizer Armee nicht selbst als MKZ fungiert. Neben ihrer Rolle als MKZ übernimmt die RUAG weitere wichtige Funktionen als Systemintegratorin. Um die Durchhaltefähigkeit der Armee zu erhöhen, muss die RUAG als strategische industrielle Reserve künftig fähig sein, in allen Lagen wesentliche Beiträge zur Instandhaltung der Systeme der Schweizer Armee zu leisten und Integrationsleistungen auf System-, Hard- und Softwareebene zu erbringen. Hierfür legen Bund und RUAG gemeinsam strategische Eckwerte der Zusammenarbeit fest.
Gemäss Artikel 1 des Bundesgesetzes vom 10. Oktober 1997 ²6 über die Rüstungsunternehmen des Bundes (BGRB) darf die RUAG in Einzelfällen strategische Beteiligungen an Unternehmen eingehen, falls diese für die Sicherstellung der Ausrüstung der Armee notwendig sind. ²7 Dabei können die finanziellen Rahmenbedingungen die RUAG insbesondere bei umfassenden Beteiligungsvorhaben zur Sicherstellung von verteidigungskritischen Vorhaben einschränken. Aus diesem Grund sollen Anpassungen an den gesetzlichen Grundlagen geprüft werden, damit der Bund bei Bedarf Mittel bereitstellen könnte. Beteiligungen der RUAG sind grundsätzlich immer gegen mögliche Risiken, insbesondere finanzielle Risiken für den Bund und dem Aufwand als Eigner, sowie gegen mögliche Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten Akteuren abzuwägen.
Bevorratung von Material und Munition
Des Weiteren hängt die Durchhaltefähigkeit der Armee von einer ausreichenden Bevorratung von Material und Munition oder, sofern die Fertigungskapazitäten in der Schweiz vorhanden sind, von der Bevorratung entsprechender Halbfabrikate ab. Darunter fällt auch die Verfügbarkeit von möglichst generisch einsetzbaren Komponenten oder Modulen, wie beispielsweise programmierbare Chips und Chipsets. Für die Durchhaltefähigkeit ist zudem die dezentrale Bevorratung von Material und Munition an geschützten Orten entscheidend sowie die Fähigkeit, deren Lebensdauer zu verlängern. Da sich bisherige Beschaffungsmengen primär an den Ausbildungsbedürfnissen der Armee orientiert haben, muss nun vor dem Hintergrund eines markant veränderten sicherheitspolitischen Umfeldes der Bedarf neu definiert werden. Dies gilt insbesondere für den Bedarf, der sich aus der Einführung zukünftiger komplexer Systeme wie dem Kampfflugzeug F-35A ergibt. Beim Auf- und Ausbau der entsprechenden Lager kann die Schweizer Industrie eine wichtige Rolle einnehmen. Eine entsprechende Bevorratung muss jedoch in einem ausgewogenen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen. Wenn eine Bevorratung nicht möglich oder sinnvoll ist, müssen die verfügbaren Optionen zur Nachproduktion bzw. Nachbeschaffung der entsprechenden Materialien und Komponenten geprüft werden.
²5 MRO schliesst die Bereiche maintenance (Wartung), repair (Instandsetzung), and overhaul (Revision/Überholung) ein.
²6 SR 934.21
²7 Massgebend hierfür sind die Strategischen Ziele des Bundesrates vom 29. November 2023 für die RUAG MRO Holding AG für die Jahre 2024-2027 ( BBl 2023 2874 ).
5.2 Nutzung der im Inland vorhandenen sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten durch Inlandbeschaffungen
Die STIB und die VIB verfügen heute noch über Ressourcen, die auch für das künftige Fähigkeitsprofil der Armee als sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien und industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten relevant sind. Solche im Inland vorhandenen Ressourcen sollen konsequent genutzt, erhalten und weiterentwickelt werden. Darüber hinaus sollen durch das bereits erwähnte und einzuführende STIB-Monitoring auch Potenziale im Inland identifiziert und genutzt werden, die bisher nicht oder zu wenig genutzt wurden.
Ein zentraler Hebel für den Erhalt und die Stärkung sicherheitsrelevanter Schlüsseltechnologien und industrieller Kernfähigkeiten und Kapazitäten in der Schweiz ist eine aktivere Nutzung des Instruments der Inlandbeschaffung. Das öffentliche Beschaffungsrecht sieht für Rüstungsbeschaffungen Vergabeverfahren vor, welche Beschaffungen im Inland als Instrument zur Förderung der nationalen STIB erlauben. Artikel 21 Absatz 3 BöB lässt freihändige Vergaben als Ausnahmen zu, sofern es sich um Beschaffungen für Verteidigungs- und Sicherheitszwecke handelt, wobei es auch bei freihändigen Vergaben die Wirtschaftlichkeit der Angebote zu berücksichtigen gilt. Ein besonderes Augenmerk gilt künftig dem Erhalt der noch in der Schweiz ansässigen Systemlieferanten und -integratoren. Gleichzeitig sollen auch KMU vermehrt an Rüstungsbeschaffungen beteiligt werden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist jedoch auch die frühzeitige Bereitstellung von Informationen über geplante Beschaffungsvorhaben (vgl. Handlungsfeld 3). Darüber hinaus sollen KMU auch im Rahmen von Kompensationsgeschäften stärker in künftige Beschaffungsvorhaben eingebunden werden (vgl. Handlungsfeld 8).
5.3 Bereitstellung einer möglichst verlässlichen Rüstungsplanung zur Schliessung von bestehenden und zur Vermeidung neuer Fähigkeitslücken
Abgeleitet von dem in den Eckwerten zur Ausrichtung der Armee bis 2035 beschriebenen Fähigkeitsprofil müssen die von der Armee benötigten Fähigkeiten so rasch wie möglich bereitgestellt werden. Zudem braucht es im Hinblick auf einen potenziellen bewaffneten Konflikt eine bestmögliche Versorgung der Armee mit den benötigten Rüstungsgütern. Damit die Industrie auf eigenes Risiko Investitionen in neue Produkte vornimmt und bei verfügbaren Produkten und Systemen und bei der Planung ihrer Produktionskapazitäten die Nachfrage der Armee einbeziehen kann, benötigt sie in regelmässigen Abständen verlässliche Informationen über die in den nächsten Jahren geplanten Beschaffungen und deren beschaffungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Eine frühzeitige Bereitstellung dieser Informationen für die Industrie kann ebenfalls dazu beitragen, dass die benötigten Produkte und Systeme rascher verfügbar sind und die Beschaffungsdauer verkürzt wird (vgl. Handlungsfeld 4).
Für die Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Armee und die Erhöhung der Durchhaltefähigkeit ist es daher wichtig, die Industrie frühzeitig in den Prozess einzubinden, was eine möglichst verlässliche Rüstungsplanung voraussetzt. Diese muss sowohl eine langfristige Planung, die sich an den Innovationszyklen und dem geplanten Fähigkeitsprofil der Armee orientiert, als auch eine kurz- und mittelfristige Planung mit den anstehenden Beschaffungsvorhaben umfassen. Eine solche Rüstungsplanung steht jedoch immer unter dem Vorbehalt der Bewilligung ausreichender finanzieller Mittel durch das Parlament und kann daher nur eine begrenzte Verbindlichkeit haben. Dies bedeutet für die Industrie, dass sie stets eine gewisse Flexibilität bewahren muss, um auf veränderte Budgetsituationen reagieren zu können.
5.4 Nutzung der Flexibilität des Beschaffungsrechts für ein schnelleres und kosteneffizientes Beschaffungswesen, das den Technologiezyklen entspricht
Innerhalb des rechtlichen Rahmens für die Beschaffung soll der Beschaffungsprozess noch schneller und kosteneffizienter gestaltet werden. Unter anderem sollen die Beschaffungsprozesse stärker an die Technologiezyklen angepasst werden. Bereits heute werden in Beschaffungsprozessen einzelne Schritte und Inhalte bedarfsgerecht auf Projekte zugeschnitten («Tailoring»), um unnötige Arbeiten und damit Verzögerungen zu vermeiden. Diese Möglichkeit soll in Zukunft verstärkt genutzt werden, was jedoch auch Projekt- und Umsetzungsrisiken mit sich bringt. Das «Tailoring» muss daher immer durch ein entsprechendes Risikomanagement begleitet werden. Bei der Beschaffung im IKT-Bereich sollen zudem verstärkt «agile» Methoden eingesetzt werden. Diese können ein schnelles Reagieren auf Veränderungen ermöglichen und den im Vergleich zur Beschaffung von Grosssystemen kürzeren Technologiezyklen im IKT-Bereich Rechnung tragen.
Zudem bietet eine verstärkte Digitalisierung des Beschaffungsprozesses Chancen, Beschaffungsprojekte schneller abzuwickeln. Durch die Digitalisierung können Prozesse und Arbeitsschritte vereinfacht und wo möglich automatisiert werden. Zudem wird die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten verbessert. Gleichzeitig ermöglichen digitale Prozesse eine gezieltere Analyse und Auswertung von Daten.
Schliesslich soll bei künftigen Beschaffungen noch stärker als bisher auf für die Schweizer Armee spezifische Anforderungen und «Überspezifikationen» verzichtet und auf bereits am Markt verfügbare Systeme zurückgegriffen werden, die internationalen Standards entsprechen (vgl. Handlungsfeld 7). Dadurch können die Komplexität und Dauer der Beschaffungsprozesse sowie erfahrungsgemäss auch die Beschaffungs- und Lebenszykluskosten reduziert werden. Darüber hinaus soll auf umfangreiche und zeit- und kostenintensive Erprobungen und Tests neuer Systeme verzichtet werden, wenn auf entsprechende Daten von Partnerstaaten zurückgegriffen werden kann, die einem vergleichbaren Standard entsprechen. Die Schweiz kann im Rahmen von Kooperationen ihrerseits Daten zur Verfügung stellen, die sie erhoben hat.
5.5 Stärkung der sicherheitsrelevanten Forschung, Entwicklung und Innovation im Inland
Damit die Schweiz ihre für die Schweizer Armee relevante Technologiekompetenz fortlaufend weiter aus- und in neuen Bereichen aufbauen kann, müssen Investitionen der Armee in Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich der sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien erhöht werden. Der Bund kann zudem mit bestehenden Instrumenten wie Rahmenverträgen mit vertraglich festgelegten Mindestabnahmemengen sowie im Rahmen der Projektierung, Erprobung und Beschaffungsvorbereitung die erforderlichen Technologiekompetenzen aufbauen. Die Forschungs- und Innovationsförderung der Verwaltungseinheiten im zivilen und militärischen Bereich sowie im Dual-Use-Bereich werden im Rahmen der Koordination der Ressortforschung des Bundes abgestimmt.
Die Rahmenbedingungen für Start-ups, die disruptive Dual-Use-Technologien entwickeln, müssen verbessert werden, damit sie es als wirtschaftlich attraktiv erachten, sich im Rüstungsbereich zu positionieren. Die erfordert beispielsweise die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Start-ups in Hinblick auf die Erteilung von Folgeaufträgen bei Innovationsprojekten sowie den Umgang mit Sicherheitsüberprüfungen der Unternehmen und ihrer Mitarbeitenden. Die Nutzung von Synergien von Forschung und Innovation im zivilen und militärischen Bereich sowie im Dual-Use-Bereich und der verstärkte Einsatz von Instrumenten wie Innovationswettbewerben können ebenfalls zur Erprobung und Entwicklung neuer Dual-Use-Technologien beitragen.
5.6 Erweiterung der internationalen Zusammenarbeit in der sicherheitsrelevanten Forschung, Entwicklung und Innovation
Die Entwicklung neuer Fähigkeiten für die Armee kann die Schweiz noch besser durch Kooperationsprojekte mit internationalen Forschungs- und Technologiepartnern vorantreiben. Dabei kann sie an bereits etablierte Kooperationsformate anknüpfen. Die Schweiz beteiligt sich bereits gewinnbringend an Forschungs- und Innovationsprojekten der Nato (z.B. im Rahmen der Science and Technology Organisation [STO]) und der EU (z.B. im Rahmen der Europäischen Verteidigungsagentur [EVA]), der Europäischen Weltraumorganisation ESA sowie an weiteren multilateralen und bilateralen Partnerschaften. Diese Partnerschaften in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation sollen künftig insbesondere im Bereich der sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien weiter ausgebaut werden. Dabei ist auch der Einbezug der Schweizer Industrie noch stärker als bisher zu fördern. In diesem Zusammenhang sollten sich Schweizer Unternehmen auch an europäischen bzw. internationalen Konsortien beteiligen können, beispielsweise im Rahmen von Projekten, die über den Europäischen Verteidigungsfonds bzw. ein mögliches Nachfolgeprogramm finanziert werden. Die Schweiz strebt zudem eine künftige Beteiligung an EU-Forschungs- und Innovationsrahmenprogrammen für sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien an.
Im Bereich der Forschung, Entwicklung und Innovation kann sich die Schweiz zudem als attraktive Partnerin international proaktiver positionieren. Dazu gehört auch, dass die Schweiz ihre Fähigkeiten und relevante Dienstleistungen, wie beispielsweise den Zugang zu hochwertigen Testinfrastrukturen in der Schweiz, ausgewählten Partnern für Kooperationsprojekte anbietet. Zudem hat die Schweiz aufgrund ihrer Innovationsführerschaft, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität das Potenzial, sich für bestimmte aufkommenden Technologien als ein Zentrum der europäischen Verteidigungsinnovation zu etablieren, wie zum Beispiel für unbemannte Systeme, KI und Quantentechnologie.
5.7 Priorisierung von Beschaffungen in den Nachbarländern und Förderung von europäischen Rüstungskooperationen
Auch wenn die STIB im Inland perspektivisch gestärkt wird, bleibt die Schweiz weiterhin auf Importe von Rüstungsgütern aus dem Ausland angewiesen, insbesondere was die Hauptsysteme betrifft. Die Schweiz strebt an, künftig Systeme, Material und Dienstleistungen für die Armee prioritär in den Nachbarländern und im europäischen Ausland zu beschaffen. ²8 Durch die geografische Nähe zu diesen Ländern sind die Transportwege kurz, was vor allem in Krisen oder im Fall eines bewaffneten Angriffs Vorteile bietet und die Lieferkettensicherheit erhöht (vgl. Handlungsfeld 10). Zudem muss sich die Schweiz besser auf die Eventualität vorbereiten, dass sie sich im Falle eines bewaffneten Angriffs im Verbund verteidigen muss. Dies beträfe in erster Linie die Nachbarstaaten der Schweiz und weitere europäische Staaten. Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, bereits heute durch die Beschaffung von Systemen und Material aus diesen Ländern gezielt die Zusammenarbeitsfähigkeit (Interoperabilität & «Interchangeability») der Schweizer Armee mit den Streitkräften der Nachbarn und weiterer europäischer Staaten zu erhöhen. Diese Fokussierung schliesst jedoch Beschaffungen bei Staaten ausserhalb von Europa auch in Zukunft nicht aus. Solche Beschaffungen können für die Schweiz weiterhin insbesondere dann sinnvoll sein, wenn die Fähigkeiten zur Fertigung, Wartung und Instandsetzung der Systeme auch in Europa vorhanden sind. Zusätzliche Beschaffungen aus anderen Regionen können zudem zu einer Diversifizierung der Lieferanten beitragen und somit Risiken von Lieferausfällen reduzieren (vgl. Handlungsfeld 10).
Die Beschaffung von Systemen, Ausrüstung und Dienstleistungen für die Armee im Ausland eröffnet zudem in Bereichen wie Betrieb, Weiterentwicklung und Ausbildung Kooperationsmöglichkeiten über das Herstellerland hinaus. Die Schweiz profitiert bereits heute von der Teilnahme an verschiedenen Nutzergruppen. ²9 Zudem kann die Schweizer Industrie, einschliesslich der RUAG, eine wichtige Rolle bei der Anbahnung europäischer Rüstungskooperationen spielen. Die zuvor skizzierten militärischen und rüstungskooperationsspezifischen Erwägungen sollen künftig neben der Lieferkettensicherheit systematisch als Zuschlagskriterien bei Beschaffungen im Ausland angewendet werden.
Vermehrte Durchführung von gemeinsamen Beschaffungen
Bei Beschaffungen im Ausland soll zudem vermehrt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, diese als gemeinsame Beschaffungen mit Partnerstaaten durchzuführen. Durch die gemeinsame Beschaffung von Systemen, Ausrüstung und Dienstleistungen für die Armee, auch über multilaterale Foren, kann die Schweiz die Zusammenarbeitsfähigkeit (Interoperabilität & «Interchangeability») der Armee erhöhen und zudem von Skaleneffekten profitieren. Gemeinsame Beschaffungen tragen somit auch zu einem effizienten Mitteleinsatz bei. Beispiele hierfür sind Beschaffungen über die Nato Support and Procurement Agency (NSPA) und die ESA oder die Nutzung von «open contracts» anderer Nationen. Zudem kann sie als Teil eines internationalen Konsortiums potenziell von kürzeren Lieferfristen und tieferen Kosten profitieren und auf die Expertise ausländischer Beschaffungsorganisationen zurückgreifen, insbesondere bei Systemen, mit denen die Schweizer Armee noch keine oder wenig Erfahrung hat.
Bislang wurden gemeinsame Beschaffungen jedoch oft durch länderspezifische Anforderungen der involvierten Streitkräfte, unterschiedliche Beschaffungsplanungen und Finanzprozesse sowie die Notwendigkeit der Integration in bestehende Systeme verhindert. Voraussetzung für die Durchführung gemeinsamer Beschaffungen ist es daher, die langfristige Rüstungsplanung und die technischen Anforderungen mit den Beschaffungsvorhaben der Partnerländer abzustimmen. Dafür können beispielsweise Foren der EU und Nato genutzt werden, die den Austausch der Mitgliedstaaten zu deren Fähigkeitsplanung und Beschaffungsvorhaben fördern.
Mitentwicklung von und Zugang zu internationalen Standards
Um die Zusammenarbeitsfähigkeit der Schweizer Armee zu erhöhen, bringt sich die Schweiz zudem über internationale Standardisierungsgremien aktiv in die Entwicklung von militärischen Standards zur Förderung der Interoperabilität ein. Im Vordergrund stehen dabei Formate der Nato, insbesondere die Conference of National Armaments Directors (CNAD). Die Schweiz ist bereits in verschiedenen Unterarbeitsgruppen der CNAD vertreten und baut dieses Engagement künftig weiter aus. Ebenso setzt sich die Schweiz dafür ein, dass sie Zugang zu internationalen Standards erhält und macht diese, wann immer möglich, für die Schweizer Industrie zugänglich. Die Anwendung internationaler Standards bei der Entwicklung von Schweizer Rüstungsgütern kann nicht nur die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee, sondern auch die Chancen der Unternehmen erhöhen, in internationale Lieferketten integriert zu werden.
Aufbau des Angebots, Government-to-Government Geschäfte abzuwickeln
Die Schweiz hat bereits in der Vergangenheit bei Beschaffungen von Hauptsystemen der Armee im Ausland mehrfach auf sogenannte G2G-Geschäfte zurückgegriffen. Beispielsweise werden das Kampfflugzeug F-35A und das bodengestützte Luftverteidigungssystem Patriot über das Foreign-Military-Sales-Programm der USA beschafft.
Unter G2G-Geschäften im engeren Sinne werden Vereinbarungen zwischen Regierungen hinsichtlich der Beschaffung von Rüstungsgütern oder Rüstungsdienstleistungen verstanden. Die Bandbreite reicht dabei von Dienstleistungen im Zuge von Geschäftsanbahnung- respektive -vermittlung, der Erbringung von Services im Bereich von Qualitätsabnahmen bis hin zur umfassenden Beschaffung von Rüstungsmaterial für andere Regierungen. Im letztgenannten Fall verhandelt die Bedarfsnation nicht direkt mit Anbietern von Gütern und Dienstleistungen, sondern der Verkauf erfolgt durch die Partnerregierung, welche die Güter und/oder Dienstleistungen entweder aus eigenen Beständen anbietet oder sie für diesen Zweck bei der nationalen Industrie beschafft. Je nach Konstellation tritt eine Regierung, die G2G-Geschäfte anbietet, somit als Auftragnehmerin, Koordinatorin oder gar Treuhänderin auf.
Die Schweiz verfügt selbst bislang nur über beschränkte Möglichkeiten, G2G-Geschäfte zugunsten anderer Staaten abzuwickeln. Aus Sicht des Bundesrates ist es jedoch sicherheitspolitisch unabdingbar, dass die Schweiz künftig die Möglichkeit von G2G-Geschäften kennt. 3⁰ Für den Fall, dass andere Staaten Beschaffungen als G2G-Geschäfte abwickeln wollen, bieten G2G-Geschäfte der Schweiz sicherheitspolitische und rüstungspolitische Vorteile. Diese schliessen beispielsweise den Auf- und Ausbau eines Beziehungsnetzes mit den Käuferstaaten sowie die Unterstützung von Exporten durch Schweizer Rüstungsunternehmen ein. Wie zuvor dargestellt, sind die möglichen Ausprägungen von G2G-Angeboten vielfältig. Anhand der Chancen und Risiken der verschiedenen Varianten ist zu prüfen, wie ein mögliches G2G-Angebot der Schweiz ausgestaltet werden könnte.
²8 Die Beschaffung von Rüstungsgütern unterscheidet sich von jener rein ziviler Güter und Dienstleistungen. Zur Wahrung der Sicherheitsinteressen der Staaten sind Beschaffungen von Waffen, Munition und sonstigem Kriegsmaterial sowie von Dienst- und Bauleistungen, die für die Verteidigung und Sicherheit nötig sind, von den internationalen WTO-Verpflichtungen (Revidiertes Übereinkommen vom 15. April 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen; SR 0.632.231.422 ) ausgenommen.
²9 Die Schweiz nimmt beispielsweise an den Nutzergruppen zum CV90/Schützenpanzer 2000, dem F/A-18 Kampfflugzeug, dem Leopard 2 Kampfpanzer, dem Piranha Radschützenpanzer sowie dem SAP Forum DEIG teil.
3⁰ Vgl. Motion
24.3710
Götte, Government-to-Government-Geschäfte im Rüstungsbereich ermöglichen.
5.8 Ausrichtung von Kompensationsgeschäften auf die Erhöhung der Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit der Schweizer Armee
Wenn die Schweiz künftig Rüstungsgüter oder -dienstleistungen im Ausland erwirbt, soll die mögliche Beteiligung der Schweizer Industrie in Hinblick auf den Aufbau verteidigungskritischer industrieller Fähigkeiten frühzeitig bewertet werden. Bei Beschaffungen von Hauptsystemen sollen Kompensationsgeschäfte gezielter für den Einbezug relevanter Schweizer Unternehmen genutzt und auf die Stärkung der Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit ausgerichtet werden. Dies schliesst auch ein, dass mit den Systemherstellern abgeklärt wird, inwiefern die Schweizer Industrie (ggf. gemeinsam mit der Armee) längerfristig Leistungen im Bereich der Systemunterstützung erbringen kann. Auf diese Weise kann das Instrument der Kompensationsgeschäfte einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur Stärkung der VIB leisten.
Durch eine gezieltere Nutzung von Kompensationsgeschäften können zudem Schlüsselkomponenten aus der Schweiz verstärkt in internationale Lieferketten eingebracht werden. Diese Integration von Schweizer Herstellern kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Schweiz auch bei erhöhter internationaler Nachfrage und in Krisen Zugang zu kritischen Rüstungsgütern oder Dienstleistungen von Partnern im Ausland erhält. So können Kompensationsgeschäfte auch zur Erhöhung der Durchhaltefähigkeit der Schweizer Armee beitragen.
5.9 Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für die STIB in Bezug auf Kriegsmaterialexport
Wie in der Analyse des sicherheits- und rüstungspolitischen Umfelds der Schweiz und im Unterkapitel zu den Zielkonflikten dargelegt, wird die Schweiz im europäischen Umfeld nicht mehr als zuverlässige Rüstungslieferantin betrachtet. Der Rückgang der Nachfrage nach Schweizer Kriegsmaterial hat insbesondere die VIB, aber auch die STIB geschwächt. Diese Entwicklungen unterstreichen die Dringlichkeit, die Rahmenbedingungen für Exporte der Schweizer Rüstungsindustrie nachhaltig zu verbessern und das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Schweiz als Rüstungslieferantin wieder herzustellen. Wie bereits oben ausgeführt, stellen Partnerstaaten der Schweiz mittlerweile die Anforderung, dass ihnen bereits beim Kauf von Schweizer Kriegsmaterial garantiert werden kann, dass sie, auch wenn sie in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt wären, weiter von der Schweiz beliefert würden. Was Direktlieferungen betrifft, setzt das Neutralitätsrecht einer entsprechenden Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen jedoch Grenzen (vgl. Kapitel 3 zu den Zielkonflikten). Diese Realität gilt es anzuerkennen und - in Kenntnis der potenziellen Konsequenzen - offen zu diskutieren.
Die noch bestehenden Exportmöglichkeiten, z.B. für Komponenten, sind im Ausland oft ungenügend bekannt. 3¹ Durch die abgelehnten Wiederausfuhren von Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine ist bei europäischen Regierungen und ausländischen Unternehmen teilweise der Eindruck entstanden, dass der Kauf von Rüstungsgütern aus der Schweiz grundsätzlich problematisch ist. Dies verschärft den Wettbewerbsnachteil der Schweizer Rüstungsindustrie auf dem internationalen Rüstungsmarkt. Eine verbesserte und proaktivere Kommunikation der geltenden Rahmenbedingungen für Rüstungsexporte bei Kontakten mit ausländischen Regierungen und Unternehmen ist daher zentral, um das Vertrauen potenzieller Käufer wieder zu stärken.
Es liegt im Interesse der Schweiz, dass ihre Zulieferindustrie, die teils als Kriegsmaterial klassifizierte hochtechnologische Komponenten herstellt, auch in Zukunft stark in die Lieferketten ausländischer Systemlieferanten integriert ist. Es gilt daher auch die Rahmenbedingungen (z.B. Bewilligungsvoraussetzungen- und -prozesse) für Zulieferer dahingehend zu überprüfen, ob die mögliche Integration in internationale Lieferketten weiterhin gewährleistet ist und ob die aktuellen Bewilligungsprozesse den Anforderungen einer international wettbewerbsfähigen Industrie gerecht werden.
Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten hat die Schweiz bisher keine Interessensvertretung für die Schweizer Rüstungsindustrie im Ausland betrieben. Zur Angleichung der Wettbewerbsbedingungen soll die Schweizer Rüstungsindustrie künftig bei der Anbahnung von Geschäftsmöglichkeiten im Ausland unterstützt werden. Dies schliesst beispielsweise die Beschaffung und Bereitstellung von Informationen über Ausschreibungen anderer Staaten und eine verbesserte Bekanntmachung des Portfolios der Schweizer Rüstungsindustrie im Ausland ein.
Aufgrund der schwindenden Nachfrage nach Schweizer Kriegsmaterial in Europa sind auch breiter angelegte Rüstungskooperationen mit anderen Ländern und Regionen zu prüfen. Solche Rüstungskooperationen fördern die Exporte der Schweizer Rüstungsindustrie nicht unmittelbar. Sie können jedoch dazu beitragen das Portfolio der Schweizer Rüstungsindustrie im Ausland bekannter zu machen, und die Industrie in Rüstungskooperationen - je nachdem wie diese individuell ausgestaltet würden - einzubeziehen. Im Fokus solcher Rüstungskooperationen mit Staaten ausserhalb Europas stehen demokratische Staaten. Dazu gehören beispielsweise im asiatisch-pazifischen Raum Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Diese Märkte gewinnen vor dem Hintergrund der aktuell rückläufigen europäischen Nachfrage nach Schweizer Rüstungsgütern zunehmend an Bedeutung. Es gilt jedoch darauf hinzuweisen, dass Rüstungskooperationen mit Staaten ausserhalb von Europa die Sicherheit der Schweiz nicht in gleichem Masse stärken können, wie die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und weiteren europäischen Staaten (vgl. Handlungsfeld 7). Erstens ist die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee mit den Streitkräften dieser Staaten aufgrund ihrer geographischen Nähe von besonderer Bedeutung, insbesondere mit Blick auf den Ernstfall, in dem sich die Schweiz im Verbund verteidigen müsste. Zudem sind Schweizer Unternehmen bereits heute eng mit den Lieferketten europäischer Systemlieferanten verflechtet. Die Stärkung der Rüstungskooperation mit den Nachbarstaaten und weiteren europäischen Staaten, einschliesslich der Wiederherstellung des Vertrauens in die Lieferzuverlässigkeit der Schweiz und ihrer Industrie, hat deshalb für die Schweiz Priorität.
3¹ Beispielsweise hat der Bundesrat entschieden, dass bei der Ausfuhr von Kriegsmaterial in Form von Baugruppen und Einzelteilen an Drittstaaten zur Weiterverarbeitung und Integration die Zulieferung an europäische Rüstungsunternehmen möglich ist, und zwar auch dann, wenn das im Ausland hergestellte Kriegsmaterial in die Ukraine gelangen könnte. Das Neutralitätsrecht macht für diesen Fall internationaler Wertschöpfungsketten keine Vorgaben. Solche Kriegsmaterial-Zulieferungen werden für Länder nach Anhang 2 zur Kriegsmaterialverordnung vom 25. Februar 1998 ( SR 514.511 ) grundsätzlich bewilligt, solange ihr Anteil am Herstellungswert des Endprodukts weniger als 50 Prozent beträgt.
5.10 Stärkung resilienter, robuster und sicherer Lieferketten
Das Wissen über die Lieferketten der von der Armee genutzten Systeme und Produkte ist heute nur in begrenztem Umfang vorhanden. Die hohe Komplexität und internationalen Verflechtungen der relevanten Lieferketten sowie geopolitische Unwägbarkeiten zeigen jedoch, dass sichere, robuste und resiliente Lieferketten essenziell für den Rüstungsbereich sind, um die Versorgung auch in Krisen oder im Fall eines bewaffneten Konflikts sicherzustellen und die Integrität von Systemen zu schützen.
Sichere Lieferketten setzen zuverlässige Zulieferer, geschützte Transportwege und Qualitätsstandards voraus, damit keine manipulierten oder minderwertigen Komponenten in den Beschaffungsprozess gelangen. Dies umfasst auch den Schutz vor (Cyber-)Spionage und die Geheimhaltung sensibler technischer Informationen. Damit Lieferketten im Rüstungsbereich zusätzlich möglichst robust sind, müssen sie widerstandsfähig gegen externe Störfaktoren wie geopolitische Krisen, Handelskonflikte oder Naturkatastrophen sein und entsprechend über redundante Strukturen, diversifizierte Zulieferer und ausreichende Pufferkapazitäten verfügen. Lieferketten im Rüstungsbereich müssen zudem resilient sein. Dies umfasst die Fähigkeit, nach Störungen oder krisenbedingten Einschränkungen die volle Funktionsfähigkeit schnell wiederherzustellen. Resilienz kann unter anderem durch flexible Anpassungsmechanismen und alternative Beschaffungswege erreicht werden.
Der Aufbau eines umfassenden Supply Chain Managements für die von der Armee genutzten Systeme und Produkte ist essenziell, um mögliche Schwachstellen und kritische Abhängigkeiten von Lieferanten, einschliesslich bei kritischen Rohstoffen, frühzeitig zu erkennen, wenn nötig Redundanzen aufzubauen und Lieferanten zu diversifizieren. Die Lieferkettensicherheit neuer Systeme sollte auch bei Beschaffungen im Inland (vgl. Handlungsfeld 2) und im Ausland (vgl. Handlungsfeld 7) frühzeitig mitberücksichtigt werden.
Auch hinsichtlich des Energiebedarfs der Armee muss die Lieferkettensicherheit erhöht werden. Dies umfasst die Entwicklung robuster, leicht ersetzbarer Energielösungen, einschliesslich mobilerer und effizienterer Energiespeichersysteme für Operationen im Inland und Wirkungen auf grosse Distanzen. Szenarien in denen kritische Energieinfrastrukturen zeitweise nicht mehr verfügbar oder sogar zerstört werden, unterstreichen die Notwendigkeit einer verbesserten Energieautonomie der Armee. Die Entwicklung innovativer Energiespeicherlösungen kann dazu beitragen, die Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Armee zu erhöhen und die Abhängigkeit von ausländischen Lieferketten zu reduzieren.
6 Umsetzung
Die erfolgreiche Umsetzung der Rüstungspolitischen Strategie erfordert ein koordiniertes, flexibles und anpassungsfähiges Vorgehen aller beteiligten Akteure, um auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können.
Aktionsplan
Im Anhang der Strategie ist ein Aktionsplan enthalten, der basierend auf den Handlungsfeldern konkrete Massnahmen und Verantwortlichkeiten für deren Umsetzung festlegt. Der Aktionsplan ist als «lebendes Dokument» konzipiert, das regelmässig überprüft und bei Bedarf an neue Entwicklungen angepasst und um weitere Massnahmen ergänzt wird. Die Massnahmen des Aktionsplans sind den Handlungsfeldern zugeordnet, zu deren Umsetzung sie beitragen. Die Erarbeitung der Ausführungsbestimmungen zu den einzelnen Massnahmen sowie deren Umsetzung und weitere Operationalisierung obliegt den im Aktionsplan identifizierten «Lead-Akteuren». Sie zeichnen sich ebenfalls für die periodische Messung des Umsetzungsfortschritts verantwortlich. Für einen Teil der aufgeführten Massnahmen sind bereits erste Vorarbeiten angelaufen und Zielgrössen und Messindikatoren definiert worden.
Finanzierung
Die Finanzierung der Massnahmen aus dem Aktionsplan erfolgt grundsätzlich im Rahmen der bestehenden Ressourcen der identifizierten Akteure.
Steuerung
Die Umsetzung der Strategie wird durch eine langfristig angelegte interdepartementale Arbeitsgruppe (IDAG) unter der Federführung des VBS gesteuert. Diese setzt sich neben Vertreterinnen und Vertretern des VBS aus Vertreterinnen und Vertretern des EDA, des EFD und des WBF zusammen. Zu den Aufgaben der IDAG gehören die periodische Berichterstattung über den Stand der Umsetzung, die Identifikation von Umsetzungshindernissen und die Erarbeitung von entsprechenden Lösungsansätzen. Die STIB wird punktuell in die Arbeiten der IDAG eingebunden, um konkrete Erfahrungen aus der Praxis einzubringen, die wiederum in allfällige Anpassungen des Aktionsplans einfliessen können.
Berichterstattung
Um Transparenz bei der Umsetzung der Strategie zu gewährleisten, wird ein systematisches Monitoring durchgeführt und in der Regel einmal jährlich ein Umsetzungsbericht zuhanden des Bundesrates erstellt. Dieser dokumentiert die Fortschritte bei der Umsetzung der einzelnen Massnahmen, bewertet ihre Wirksamkeit anhand der definierten Indikatoren, zeigt bestehende Herausforderungen bei der Umsetzung auf und stellt bei Bedarf Antrag zur Weiterentwicklung des Aktionsplans.
Anhang
I. Aktionsplan
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| Nr. | Massnahmen | Lead / Co-Lead | Beteiligte |
|---|---|---|---|
| Handlungsfeld 1: Identifikation und Priorisierung von sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten | |||
| 1 | Sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien und industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten werden bis Anfang 2026 neu definiert und priorisiert. Die Definition und Priorisierung von sicherheitsrelevanten Schwerpunkttechnologien nimmt armasuisse vor. Die Definition und Priorisierung industrieller Kernfähigkeiten und Kapazitäten liegt in der Verantwortung der Gruppe V. Synergien mit relevanten Ämtern werden im Rahmen der IDAG adressiert. Es erfolgt alle drei Jahre eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Anpassung. Bei Bedarf, z. B. aufgrund signifikanter neuer technologischer Entwicklungen, kann eine Anpassung auch früher erfolgen. | VBS (armasuisse, Gruppe V) | |
| 2 | Es wird bis Mitte 2026 ein systematisches STIB-Monitoring aufgebaut, um die Verfügbarkeit von sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten in der Schweiz zu überprüfen und neue Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Basierend auf dem STIB-Monitoring wird bis Anfang 2027 ebenfalls ermittelt, welche technologischen Fähigkeiten und industriellen Fähigkeiten und Kapazitäten die Schweiz gezielt in internationale Kooperationen einbringen kann. Synergien sind systematisch mit den relevanten Ämtern zu prüfen. | VBS (armasuisse, Gruppe V) | |
| 3 | Das strategische Profil der RUAG und die Zusammenarbeit der RUAG mit der Armee werden weiterentwickelt, sodass sie in allen Lagen robuste Leistungen für die Sicherheit der Schweiz erbringen kann und die Versorgungssicherheit auch in Krisen oder im Fall eines bewaffneten Konflikts gewährleistet ist. Es sollen Anpassungen der gesetzlichen Grundlagen geprüft werden, damit der Bund bei umfassenden Beteiligungsvorhaben der RUAG zur Sicherstellung verteidigungskritischer Vorhaben bei Bedarf finanzielle Mittel bereitstellen könnte. | VBS (Eigner, armasuisse) | VBS (Gruppe V), EFD (EFV), WBF (SECO), EJPD (BJ), RUAG |
| 4 | Die Gruppe V legt unter Berücksichtigung der Notwendigkeit und Kosten fest, welches Material und welche Munition künftig in welchen Mengen bevorratet werden soll. Armasuisse evaluiert wie die Nachproduktion oder Nachbeschaffung von Gütern, die nicht bevorratet werden können oder sollen, sichergestellt werden kann. | VBS (Gruppe V, armasuisse) | |
| Handlungsfeld 2: Nutzung der im Inland vorhandenen sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien und industriellen Kernfähigkeiten und Kapazitäten durch Inlandbeschaffung | |||
| 5 | Buy-Swiss-Prinzip: Der Anteil des Beschaffungsvolumens von Gütern (ausserhalb des Staatsvertragsbereichs) im Inland wird gegenüber dem heutigen Beschaffungsvolumen auf möglichst 60 Prozent des Beschaffungsvolumens erhöht, sofern die Angebote wirtschaftlich und sicherheitspolitisch sinnvoll sind. Dies gilt insbesondere für Beschaffungen, die sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien und industrielle Kernfähigkeiten und Kapazitäten betreffen. Entscheidend ist der Ort der Wertschöpfung. | VBS (armasuisse) | |
| Handlungsfeld 3: Bereitstellung einer möglichst verlässlichen Rüstungsplanung zur Schliessung von und Vermeidung neuer Fähigkeitslücken | |||
| 6 | Die Gruppe V entwickelt unter Einbezug der armasuisse eine möglichst verlässliche Rüstungsplanung und passt diese jährlich an. Die Rüstungsplanung enthält neben den Fähigkeitslücken auch Informationen über geplante Vertragsvergaben und deren Zeitpläne. Die Rüstungsplanung wird erstmalig 2026 veröffentlicht. | VBS (Gruppe V, armasuisse) | |
| Handlungsfeld 4: Nutzung der Flexibilität des Beschaffungsrechts für ein schnelleres und kosteneffizientes Beschaffungswesen, welches den Technologiezyklen entspricht | |||
| 7 | Die Beschaffungszeiten und Projektlaufzeiten werden durch den verstärkten Einsatz von «Tailoring», «agilen» Methoden und verstärkter Digitalisierung ab 2026 gegenüber der Periode 2020-2024 verkürzt. Der Einsatz von «Tailoring» wird stets von einem Risiko Management begleitet. | VBS (Gruppe V, armasuisse) | |
| 8 | Die Gruppe V verzichtet, wenn immer möglich, auf für die Schweizer Armee spezifische Anforderungen und reduziert die Anforderungen auf das zwingend Notwendige. Darauf basierend wird bei künftigen Beschaffungen auf bereits am Markt verfügbare Systeme zurückgegriffen, die internationalen Standards entsprechen. Auf Überspezifikationen und sogenannte «Helvetisierungen» wird weitestgehend verzichtet. | VBS (Gruppe V, armasuisse) | |
| 9 | Der Austausch mit anderen Staaten von Daten aus Erprobungen und Tests, die einem vergleichbaren Standard wie dem der Schweiz entsprechen, wird intensiviert. Die von der Schweiz erhobenen Daten werden gezielt in internationale Kooperationen als Angebote eingebracht. | VBS (armasuisse) | |
| Handlungsfeld 5: Stärkung der sicherheitsrelevanten Forschung, Entwicklung und Innovation im Inland | |||
| 10 | Das VBS erhöht bis 2030 schrittweise den Anteil des Armee-Budgets für Forschung und Entwicklung auf 2 Prozent. Ein Prozentsatz für die Erhöhung des Anteils des Armee-Budgets für Innovation wird im Rahmen der Umsetzung der Rüstungspolitischen Strategie festgelegt. | VBS | |
| 11 | Bis Ende 2028 entwickelt das VBS eine neue, auf konkrete Fragestellungen der Armee ausgerichtete Kooperation mit dem ETH-Bereich, um Synergien in der Forschung und Innovation im zivilen, militärischen und Dual-Use-Bereich besser zu nutzen. | VBS (armasuisse) | ETH-Bereich |
| Handlungsfeld 6: Erweiterung der internationalen Zusammenarbeit in der sicherheitsrelevanten Forschung, Entwicklung und Innovation | |||
| 12 | Armasuisse W+T wird zu einem europäisch anerkannten militärischen Technologiekompetenzzentrum (inkl. Test- und Evaluation) ausgebaut und bezieht wo möglich und sinnvoll die RUAG in Tests mit ein. Die Angebote sollen proaktiv im Rahmen internationaler Kooperationen zur Nutzung angeboten werden. Die Häufigkeit der Nutzung des Angebots durch andere Staaten dient als Messindikator. | VBS (armasuisse) | RUAG |
| 13 | Die multilaterale Kooperation der Schweiz in den Bereichen militärischer und Dual-Use-Forschung, -Entwicklung und -Innovation wird im Rahmen der EVA, Nato STO und ESA mit Fokus auf sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien weiter ausgebaut und wann immer möglich und sinnvoll, die Industrie mit einbezogen. | VBS (armasuisse) | |
| Handlungsfeld 7: Priorisierung von Beschaffungen in den Nachbarländern und Förderung von europäischen Rüstungskooperationen | |||
| 14 | Die generellen Zuschlagskriterien für künftige Beschaffungen im Ausland werden bis Ende 2026 revidiert: Es werden militärische und rüstungsspezifische Kooperationsmöglichkeiten sowie die Lieferkettensicherheit standardmässig als Zuschlagskriterien in den Beschaffungsentscheid integriert. | VBS (armasuisse) | |
| 15 | Buy-European-Prinzip: Der Anteil des Beschaffungsvolumens von Gütern (ausserhalb des Staatsvertragsbereiches) in den Nachbarstaaten und weiteren europäischen Staaten wird gegenüber dem heutigen Beschaffungsvolumen auf möglichst 30 Prozent erhöht, sofern die Angebote wirtschaftlich und sicherheitspolitisch sinnvoll sind. Dieses Ziel kann auch durch gemeinsame multinationale oder multilaterale Beschaffungen mit den genannten Staaten erreicht werden. Um gemeinsame Beschaffungen zu fördern, stimmt die Schweiz jährlich ihre Beschaffungsvorhaben mit den Beschaffungsplänen der Nachbarländer und anderer europäischer Staaten ab. | VBS (armasuisse) | |
| 16 | Die Schweiz zielt auf einen verbesserten Zugang zu den Rüstungskooperationsformaten im EU-Rahmen ab. | VBS (SEPOS, armasuisse) / EDA (STS) | WBF (SECO) |
| 17 | Die Schweiz verstärkt bis Ende 2027 ihr Engagement in der Entwicklung internationaler Standards im Rahmen der Nato CNAD und steuert dieses strategisch. Die Schweiz macht internationale Standards, wann immer möglich, für die Schweizer Industrie zugänglich. | VBS (armasuisse, Gruppe V) | |
| 18 | Bei Annahme der Motion Götte 24.3710 schafft die Schweiz die rechtlichen Grundlagen, um G2G-Geschäfte in einem definierten Umfang zugunsten ausländischer Staaten abzuwickeln und verbunden mit dieser Möglichkeit den angebotenen Leistungsumfang zu erweitern. Bei der Entwicklung eines G2G-Angebots der Schweiz, werden die rechtlichen und finanziellen Risiken für den Bund so weit wie möglich minimiert. | VBS (armasuisse) | EDA (STS), EFD (EVF), EJPD (BJ), VBS (SEPOS), WBF (SECO) |
| Handlungsfeld 8: Ausrichtung von Kompensationsgeschäften auf die Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit der Schweizer Armee | |||
| 19 | Kompensationsgeschäfte bei Beschaffungen von Hauptsystemen der Armee im Ausland werden gezielt eingesetzt, um Schweizer Unternehmen in den Lieferketten des Systemlieferanten zu positionieren und um verteidigungskritische industrielle Fähigkeiten und Kapazitäten sowie sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien im Inland zu stärken. | VBS (armasuisse) | Verbände der STIB |
| Handlungsfeld 9: Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für die STIB in Bezug auf Kriegsmaterialexport | |||
| 20 | Die Auslandsvertretungen der Schweiz sollen künftig verstärkt eine aktive Rolle in der Interessensvertretung für die Schweizer Rüstungsindustrie übernehmen. Dies betrifft insbesondere die Verteidigungsattachées und -attachés der Schweiz, die bis Ende 2025 mandatiert werden sollen, die Schweizer Rüstungsindustrie künftig bei der Anbahnung von Geschäftsmöglichkeiten im Ausland zu unterstützen. Dies schliesst die Beschaffung und Bereitstellung von Informationen über Ausschreibungen anderer Staaten, die Bekanntmachung des Portfolios der Schweizer Rüstungsindustrie bei ausländischen Regierungen und Unternehmen, sowie die Unterstützung von Geschäftsverhandlungen von Schweizer Rüstungsunternehmen im Ausland ein. Zudem wird die Schweizer Rüstungsindustrie über die Industrieverbände in Wirtschaftsmissionen der Bundesverwaltung eingebunden, um die Unternehmen beim Aufbau von Kontakten zu ausländischen Regierungen und der Industrie zu unterstützen. | VBS (armasuisse, Gruppe V) / WBF (SECO) / EDA (STS) | Verbände der STIB |
| 21 | Es wird geprüft, ob innerhalb des geltenden Rechtsrahmens für Kriegsmaterialausfuhren künftig sogenannte «Just-in-time-Lieferungen» ermöglicht werden können. Dies würde es der Schweizer Zuliefererindustrie ermöglichen, schneller und verlässlicher auf Anfragen von Firmen im Ausland reagieren zu können. Bei einem positiven Prüfungsergebnis werden die entsprechenden Rechtsgrundlagen geschaffen. | WBF (SECO) | EDA (AIS), VBS (SEPOS, armasuisse), EJPD (BJ) |
| 22 | Rüstungskooperationen mit demokratischen Staaten ausserhalb Europas werden intensiviert. Bis 2027 werden mit zwei Staaten im asiatisch-pazifischen Raum Memoranda of Understanding für eine vertiefte Rüstungskooperationen unterzeichnet. | VBS (armasuisse) | EDA (STS) |
| Handlungsfeld 10: Stärkung resilienter, robuster und sicherer Lieferketten | |||
| 23 | Es wird bis 2028 ein Supply Chain Management für die von der Armee genutzten Systeme und Produkte aufgebaut. Kritische Lieferketten für einsatzrelevante Systeme der Armee werden identifiziert, kritische Abhängigkeiten kontinuierlich reduziert und Lieferanten diversifiziert. | VBS (armasuisse, Gruppe V) | |
II. Abkürzungsverzeichnis
BGRB
Bundesgesetz vom 10. Oktober 1997 über die Rüstungsunternehmen des Bundes
BöB
Bundesgesetz vom 21. Juni 2019 über das öffentliche Beschaffungswesen
CNAD
Conference of National Armaments Directors
EDA
Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten
EDIP
European Defence Industrial Program
EDIS
European Defence Industrial Strategy
EFD
Eidgenössisches Finanzdepartement
EFV
Eidgenössische Finanzverwaltung
ESA
Europäische Weltraumorganisation
ESSI
European Sky Shield Initiative
EU
Europäische Union
EVA
Europäische Verteidigungsagentur
EVF
Europäischer Verteidigungsfonds
FCAS
Future Combat Air System
G2G
Government-to-Government
GCAP
Global Combat Air Programme
IDAG
Interdepartementale Arbeitsgruppe
IKT
Informations- und Kommunikationstechnik
KI
Künstliche Intelligenz
KMG
Kriegsmaterialgesetz vom 13. Dezember 1996
KMU
Kleine und mittlere Unternehmen
MKZ
Materialkompetenzzentrum
MRO
Maintenance, Repair, Overhaul
Nato
North Atlantic Treaty Organization
NSPA
Nato Support and Procurement Agency
SBFI
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation
SECO
Staatssekretariat für Wirtschaft
SEPOS
Staatssekretariat für Sicherheitspolitik
SiK-S
Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats
SNFW-Verbund
Sensoren-Nachrichten-Führungs-Wirkungs-Verbund
STIB
Sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis
STO
Science & Technology Organization
VBS
Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport
VIB
Verteidigungskritische Industriebasis
W+T
armasuisse Wissenschaft und Technologie
WBF
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
Bundesrecht
Die Rüstungspolitik der Schweiz im Wandel. Rüstungspolitische Strategie des Bundesrates
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