Übereinkommen Nr. 150 über die Arbeitsverwaltung: Rolle, Aufgaben, Aufbau
Abgeschlossen in Genf am 26. Juni 1978 Von der Bundesversammlung genehmigt am 16. Dezember 1980¹ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 3. März 1981 In Kraft getreten für die Schweiz am 3. März 1982 (Stand am 29. April 2025) ¹ AS 1982 326
² SR 0.822.719.1 ³ SR 0.823.111 ⁴ SR 0.822.719.7 ⁵ SR 0.822.719.9
Art. 1
Im Sinne dieses Übereinkommens:
a)
bezeichnet der Ausdruck «Arbeitsverwaltung» die Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung auf dem Gebiet der innerstaatlichen Arbeitspolitik;
b)
umfasst der Ausdruck «System der Arbeitsverwaltung» alle Organe der öffentlichen Verwaltung, die für die Arbeitsverwaltung verantwortlich oder damit befasst sind – gleich ob es sich um ministerielle Dienststellen oder öffentliche Institutionen einschliesslich halbstaatlicher und regionaler oder lokaler Stellen oder irgendeine andere Form der dezentralisierten Verwaltung handelt – sowie jeden institutionellen Rahmen für die Koordinierung der Tätigkeiten solcher Organe und für die Anhörung und Beteiligung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und ihrer Verbände.
Art. 2
Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, kann gemäss der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis bestimmte Tätigkeiten der Arbeitsverwaltung nichtstaatlichen Organisationen, insbesondere Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – oder gegebenenfalls Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – übertragen oder anvertrauen.
Art. 3
Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, kann bestimmte Tätigkeiten auf dem Gebiet der innerstaatlichen Arbeitspolitik als Angelegenheiten betrachten, die gemäss der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis durch direkte Verhandlungen zwischen den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer geregelt werden.
Art. 4
Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat in einer den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechenden Weise dafür zu sorgen, dass in seinem Gebiet ein System der Arbeitsverwaltung eingerichtet wird und wirksam funktioniert und dass die ihm zugewiesenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten ordnungsgemäss koordiniert werden.
Art. 5
1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat den innerstaatlichen Verhältnissen entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um innerhalb des Systems der Arbeitsverwaltung Beratungen, Zusammenarbeit und Verhandlungen zwischen den öffentlichen Stellen und den massgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – oder gegebenenfalls den Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – zu gewährleisten.
2. Diese Vorkehrungen sind, soweit dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis vereinbar ist, auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie für die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft zu treffen.
Art. 6
1. Die zuständigen Stellen innerhalb des Systems der Arbeitsverwaltung sind je nach Sachlage für die Vorbereitung, Durchführung, Koordinierung, Überwachung und Überprüfung der innerstaatlichen Arbeitspolitik verantwortlich oder wirken dabei mit und sind im Rahmen der öffentlichen Verwaltung das Instrument für die Vorbereitung und Durchführung der zur Verwirklichung dieser Politik erlassenen Gesetzgebung.
2. Diese Stellen haben unter Berücksichtigung der einschlägigen internationalen Arbeitsnormen insbesondere:
a)
an der Vorbereitung, Durchführung, Koordinierung, Überwachung und Überprüfung der innerstaatlichen Beschäftigungspolitik gemäss der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis mitzuwirken;
b)
die Lage der Beschäftigten, Arbeitslosen und Unterbeschäftigten unter Berücksichtigung der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiet der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und des Arbeitslebens zu untersuchen und laufend zu beobachten, auf Mängel und Missstände in diesen Bereichen hinzuweisen und Abhilfemassnahmen vorzuschlagen;
c)
den Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie deren Verbänden, soweit es mit der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis vereinbar ist, ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, um eine wirksame Beratung und Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Stellen und den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie zwischen diesen Verbänden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie in den verschiedenen Sektoren der Wirtschaft zu fördern;
d)
den Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie deren Verbänden auf Wunsch eine fachliche Beratung zukommen zu lassen.
Art. 7
Falls die innerstaatlichen Verhältnisse es zur Befriedigung der Bedürfnisse der grösstmöglichen Zahl von Arbeitnehmern erfordern und soweit solche Tätigkeiten noch nicht erfasst sind, hat jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, die Ausdehnung der Aufgaben des Systems der Arbeitsverwaltung – nötigenfalls stufenweise – auf Tätigkeiten zu fördern, die in Zusammenarbeit mit anderen zuständigen Stellen durchzuführen sind und die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsleben von Erwerbstätigengruppen betreffen, die rechtlich nicht als abhängig Beschäftigte gelten, wie z. B.:
a)
Pächter, die keine aussenstehenden Arbeitskräfte beschäftigen, Teilpächter und ähnliche Gruppen landwirtschaftlicher Arbeitskräfte;
b)
selbständig erwerbstätige Personen, die keine aussenstehenden Arbeitskräfte beschäftigen und die im informellen Sektor tätig sind, wie er in der innerstaatlichen Praxis verstanden wird;
c)
Mitglieder von Genossenschaften und in Betrieben mit Arbeiterselbstverwaltung tätige Personen;
d)
Personen, die im Rahmen von Systemen tätig sind, die auf gemeinschaftlichen Gepflogenheiten oder Traditionen beruhen.
Art. 8
Soweit dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis vereinbar ist, haben die zuständigen Stellen innerhalb des Systems der Arbeitsverwaltung an der Ausarbeitung der staatlichen Politik auf dem Gebiet der internationalen Arbeitsangelegenheiten und an der Vertretung des Staates in diesen Angelegenheiten mitzuwirken und zur Vorbereitung der auf innerstaatlicher Ebene in diesem Bereich zu treffenden Massnahmen beizutragen.
Art. 9
Im Hinblick auf eine angemessene Koordinierung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Systems der Arbeitsverwaltung in der durch die innerstaatliche Gesetzgebung oder Praxis bestimmten Weise muss das Arbeitsministerium oder eine andere vergleichbare Stelle über die Mittel verfügen, um feststellen zu können, ob halbstaatliche Stellen, die für bestimmte Tätigkeiten der Arbeitsverwaltung zuständig sind, und regionale oder lokale Stellen, denen solche Tätigkeiten übertragen worden sind, im Einklang mit der innerstaatlichen Gesetzgebung handeln und die ihnen gesetzten Ziele beachten.
Art. 10
1. Das Personal des Systems der Arbeitsverwaltung muss sich aus Personen zusammensetzen, die für die ihnen übertragenen Tätigkeiten ausreichend qualifiziert sind, Zugang zu der dafür erforderlichen Ausbildung haben und von unzulässigen äusseren Einflüssen unabhängig sind.
2. Dieses Personal hat über den Status, die materiellen Mittel und die Finanzmittel zu verfügen, die für die wirksame Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind.
Art. 11
Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.
Art. 12
1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.
2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.
3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.
Art. 13
1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.
2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.
Art. 14
1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.
2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.
Art. 15
Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen⁶ vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.
⁶ SR 0.120
Art. 16
Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, so oft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.
Art. 17
1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:
a)
Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 13, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.
b)
Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.
2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.
Art. 18
Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.